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in dem er meinte, dieser könne aus denselben neue Waffen für seinen Streit mit Murner sehmieden, so zeigt das doch, daß er zu diesen Dingen noch keine selbständige Stellung genommen hatte. Aber schon 1509 ist er, wie wir sahen, bei Gresemund in Mainz, um dessen Altertümersammlung zu besichtigen, die Ausgaben von 1510 zeigen ihn sodann in den Reihen der Panegyristen Maximilians[1], und selbst an Stellen, wo man es kaum vermutet, wie auf dem Titelblatt zur Ausgabe des Gregor von Nyssa und im Vorwort zum Dekret Gratians, finden wir ihn patriotisch interessiert.[2] Er entwirft 1512 Jakob Faber ein Gemälde der neuen deutschen Humanistenkultur, ganz wie es Wimpfeling gegeben hatte und wenig später Irenikus gab. Um dieselbe Zeit knüpfen sich durch Hummelberg Beziehungen zwischen ihm und Peutinger, zunächst aus Interesse für die neue Theologie entstanden, bald aber auch für die Geschichts- und Altertumsstudien fruchtbar.[3] Diese Studien führen ihn 1515 zur Entdeckung des Vellejus Paterculus, und 1519 reift die erste Frucht auf dem neu bebauten Felde, der Kommentar zur Germania des Tacitus.[4]

Es sind nur 10 Blätter, die dem in Quart bei Froben gleichzeitig mit der großen Folioausgabe der Opera omnia erschienenen Sonderdruck beigefügt sind, und Beatus Rhenanus hat sie nicht einmal unter seinem Namen erscheinen lassen, aber sie verdienen leicht einen ersten Platz in der Geschichte der kritischen Erforschung der deutschen Vorzeit. Denn hier verkündet schon im Vorwort Rhenanus durch den Mund Frobens und noch deutlicher in den Einleitungsworten des Kommentars den Hauptgrundsatz seines kritischen Verfahrens: Die Schriftsteller der prisca antiquitas sind durch die der media antiquitas[5] zu erläutern, wenn man ihre Angaben über Völker und Völkersitze recht verstehen will. „Also, Freund,“ sagt er zum Leser, „darfst du, was Tacitus von den Sueven sagt, nicht auf die heutigen Schwaben beziehen, denn es gibt kaum mehr ein Volk, das seine alten Sitze inne hätte.“ Zur Erläuterung dieser Veränderungen aber dienen von den Alten Spartian, Vopiscus, Ammian, Orosius, Eutrop, Prokop und Agathias, von den Neueren Regino, Liutprand, Aimoin, Sigebert und die Stammesgeschichten. Bei jedem aber ist zu merken, wann er geschrieben hat und von wem er eigentlich handelt.

Zweierlei ist mit diesem Grundsatz gewonnen: dem System der Zitatenhäufung, wie es der alte Humanismus, aber auch noch Bebel, Nauklerus und selbst Peutinger in scholastischer Weise üben, ist das Urteil gesprochen und der Begriff der Veränderung durch allmähliche


  1. [256] 99) Briefwechsel Nr. 433 und 435, vgl. auch Nr. 31.
  2. [256] 100) Die Ausgabe des Gregor v. Nyssa ist beschrieben im Index bibliographicus, hinter dem Briefwechsel 599, Nr. 20; die Inschrift auf Maximilian noch einmal eigens 621, Nr. 8. Dasselbe Titelblatt vor dem Otto v. Freising Cuspinians von 1515, ein sehr ähnliches vor dem Curtius von 1520, den Erasmus in Straßburg bei Schürer herausgab; s. Horawitz in SBWA. LXXI, 656. – Aus dem Vorwort zum Gratian (Briefwechsel 50): Carolus Magnus, non Gallus, sed Germanus; vgl. 60: Romanum Imperium, quod a Magni Caroli temporibus penes Germanos semper fuit. Beide Male ganz unnötige Einschiebsel.
  3. [256] 101) Rhenanus schenkt Peutinger 1513 die neuen Pariser Drucke des Gregor von Tours und des Ado von Vienne (jetzt auf der Augsburger Stadtbibliothek) vgl. Lotter-Veith, Vita Peutingeri 128m.
  4. [256] 102) Über diesen Kommentar herrscht viel Unklarheit, ich gebe deshalb den Sachverhalt. In der Folioausgabe des Tacitus, die Froben August 1519 druckte, (Index bibliographicus, hinter dem Briefwechsel 607, Nr. 46) steht er nicht. Die Ausgabe ist ein Nachdruck der Ausgaben des Beroaldus von 1515 und des Puteolanus von 1476, Rhenanus hat daran nach seiner eigenen Angabe keinen weiteren Anteil, als daß er den Text der Germania revidiert hat, wie er hier sagt beneficio codicis vetustioris, wie er in der Ausgabe von 1533, p. 421 schreibt, nach einem Druck, den ihm der Dr. med. Artolf gab (nach den weiteren etwas unklaren [257] Angaben daselbst scheint der Druck doch eine Handschriftenkollation enthalten zu haben), und der Ausgabe ein Register beigab u. d. T.: Elenchus in Historiam Augustam Cor. Taciti, qui ea potissimum indicat, quae ad res Germaniae pertinent, hactenus a multis incuriosa lectione transmissa per Beatum Rhenanum Selestadiensem opere cursim et carptim evoluto congestus. Dieser Elenchus enthält einige größere Artikel (sie sind fast wörtlich in das Register der Ausgabe von 1533 übergegangen, nur mit Verweisen auf die unterdes erschienenen Rerum Germanicarum libri III) und bei dem ersten: Germani die Bemerkung: Sed de his latius disputamus in nostris in Tacitum commentariis. Dieser Kommentar erschien anonym und ohne Jahr in Quart mit einer Separatausgabe der Germania u. d. Titel: P. Cornelii Taciti de moribus et populis Germaniae libellus. Cum commentariolo vetera Germanie populorum vocabula paucis explicante. Schlußzeile Lipsie ex edibus Valentini Schumanni. (Knod l. c. II, 2731 kennt ihn und bezieht darauf richtig Briefwechsel S. 206, Nr. 150. S. auch die Bemerkung im Briefwechsel 1602, wo aber unrichtig auf den Index bibliogr. verwiesen wird.) Er enthält nach dem Germaniatext eine Zuschrift Frobens an Zwingli, in der der Verfasser als ex amicis nostris quidam eingeführt wird. Durch ein Mißverständnis der Schlußworte (Hanc eandem rem (sc. studium mediae antiquitatis) agunt... Henricus Glareanus et Joachimus Vadianus praecipue in commentariis suis in Pomponium Melam) ist der Kommentar später Glarean beigelegt worden, z. B. in dem Abdruck bei Schard, SS. res. Germ. I.; so auch bei Bursian, Gesch. d. klass. Philologie I, 155 und Wegele, Historiographie 252. Eine weitere Verwirrung hat Ballenstedt, Andreae Althameri Vita (1740), S. 22 ff. angerichtet, indem er den Kommentar des Rhenanus mit den kurzen Bemerkungen Melanchthons (auch bei Schard I) verwechselt. Das Richtige steht jetzt ganz kurz in Müllenhoffs Germania des Tacitus [Dt. Altertumskunde IV (1900), S. 88]. – Auch die Abfassungszeit läßt sich genau bestimmen, da Rhenanus Bl. E 1’ das Schreiben der Schweizer Tagsatzung vom 18. III. 1519 über die bevorstehende Kaiserwahl erwähnt und andrerseits auf der vorletzten Seite Karls Wahl [28. VI. 1519] erst erhofft wird. Der Druck der Sonderausgabe ist aber wohl erst nach der Folioausgabe erfolgt, denn er hat z. T. schon die Lesarten in den Text übernommen, die im Folio als richtig am Rande stehen. – Auf dem Kommentar des Rhenanus beruht u. a. die erste deutsche Übersetzung der Germania durch Eberlin v. Günzburg [ed. Radlkofer i. d. Bll. f. d. bayr. Gymnasialschulwesen XXIII, 1 ff.]. Er hat die wichtigen Einleitungsworte mit übersetzt.
  5. [257] 103) Dies ist bei Beatus Rhenanus bereits technischer Ausdruck, s. auch Briefwechsel 340, wo mediae antiquitatis homines statt medios antiquitatis homines zu lesen ist, und Aventin WW. VI, 88 Z. 6. Daraus bat sich dann der Begriff media aetas = Mittelalter entwickelt, den ich zuerst bei Vadian finde, und zwar schon im Kommentar zum Pomponius Mela von 1518: Walafridus mediae aetatis autor non ignobilis.