Seite:De Geschichtsauffassung 116.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

lassen. Cochläus aber gestaltet sich nun daraus, wie einst Biondo, ein Lebensbild Theoderichs, aus dem man sehen soll, daß auch die Gotenherrschaft in Italien keine Tyrannei gewesen sei, und bringt den Fund, freilich erst später, 1529, und in einem Auszuge, zum Drucke. Auch eine Handschrift der Chronik Cassiodors fand er in St. Stephan in Mainz und bereitete 1528 ihren Druck vor.[1]

1519 veröffentlicht ein Mitglied des Augsburger Humanistenkreises die lateinische Übersetzung des Agathias vom Gotenkriege, die schon Naukler für deutsche Geschichte benutzt hatte[2], 1513 waren auf Cuspinians Anregung die Panegyrici latini erschienen, freilich zunächst als rhetorische Muster, aber auch ganz vorwiegend als historische Musterlektüre gedacht.[3] Wir sahen, daß schon 1507 Heinrich Bebel ihnen Historisches für deutsche Stämme entnommen hatte, bald sollte durch Beatus Rhenanus ihre eigentliche Bedeutung für die deutsche Geschichte offenbar werden. Cuspinian selbst plante ein ganzes Corpus von Editionen, die seinem darstellenden Hauptwerke, den Consules et Caesares, als Vorläufer und Bewährung dienen sollten. Auch er wurde dabei auf Cassiodor geführt und bemühte sich um einen vollständigen Ammianus Marcellinus.[4] Merkwürdig, daß er den Florus 1511 ohne patriotische Absicht herausgegeben zu haben scheint[5], während Beatus Rhenanus 1520 bei dem Vellejus sogleich den Finger auf die Erwähnung des Arminius legte.[6] Aber die eifrigsten Bemühungen der Humanisten gelten doch dem „goldenen Büchlein“ des Tacitus, nur etwa die Geographie des Ptolemäus kann sich mit diesem an Wichtigkeit für sie messen.


Diese erzählenden Quellen bildeten den wichtigsten, aber doch nur einen Teil des durch den Humanismus an den Tag geförderten Quellenmaterials: was die erste Humanistengeneration schüchtern versucht hatte, auch die Überreste des Lebens der Vergangenheit, also die Inschriften, Münzen und Urkunden, der Geschichte dienstbar zu machen, das nehmen die Nachfolger in großartiger Weise wieder auf. In jeder Hinsicht hat Konrad Peutinger hier die Führung.[7]

Peutinger stellt uns auch fast repräsentativ den Fortschritt vor Augen, den der kritische Humanismus auf diesem Gebiet über seine Vorgänger hinaus macht, den Fortschritt von der bloß lokalen und gelegentlichen Beachtung dieser Überreste zu ihrer systematischen Sammlung und zu Versuchen darstellender Verwertung.[8] Die Inschriften, also die Denkmale der Römerzeit, sind es, die da zunächst ins Auge fallen, und so sind die Lehrer und Vorbilder der Deutschen


  1. [251] 48) Cochläus an Johann Georg Baumgartner, Eichstädt 1544 juni 2, vor der Vita Theoderici regis quondam Ostrogothorum et Italiae. Ingolstadt 1544. Vgl. Otto, Cochläus der Humanist 102. Über die von Cochläus benutzte Hs. der Variae s. Mommsen vor seiner Ausgabe (M. G. Auct. antiq. XII) LXXXIII. Die Chronik ist erst 1529 mit Eusebius, Prosper etc. bei Henric Petri in Basel erschienen. Über die Mainzer Hs. s. Mommsen in M. G. Auct. antiq. IX, 363, XI, 117.
  2. [251] 49) Die Vorrede des Herausgebers Aegidius Rem ist an Johannes Choler, den Freund des Erasmus und des Peutinger gerichtet. Über Rem s. Veith, Bibliotheca Augustana V, 63. Er ist 1512 Kommilito Huttens in Pavia, s. Strauß, Hutten 66, 233.
  3. [251] 50) Die Herausgeber sind nach der Vorrede Georg Cuspinian, der Vetter, und Sebastian Felix Cuspinian, der Sohn des berühmten Wiener Gelehrten. Dieser hat die Hs. gefunden und emendiert. – Über die handschriftliche Überlieferung s. Schanz, Rom. LG. III2, 162, zu dem dort erwähnten Johannes Hergott ALG III, 169 ff.
  4. [251] 51) Über Cuspinians Editionspläne s. das Vorwort zur Ausgabe des Otto v. Freising (Straßburg, Schürer 1515). Über die erst mit den Caesares abgedruckte Chronik des Cassiodor s. Mommsen in M. G. Auct. antiq. XI, 117 u. w. u. Kapitel VII. Über den Ammian Reuchlins Briefwechsel ed. Geiger 170; vgl oben III89.
  5. [252] 52) Wien 1511. Das Vorwort an Vadian und Ioannes Marius (Wien 1511 juli 1) wendet sich heftig gegen die angeblich emendierten Ausgaben der Buchhändler, wie etwa die Sallustausgabe des Pomponio Leto oder die des Florus von Beroaldo, sein Florus sei wirklich emendiert und etwas ganz anderes als der olim et in Italia bis terve et in Gallia nuper forma enchiridii non semel impressus. Gleichzeitig erschienen Annotationes zum Florus von Johann Camers, über die Cuspinian in einem zornigen Briefe an Vadian spricht (Vadians Briefwechsel ed. Arbenz I, 215). – Celtis hat in Wien nicht über Florus gelesen, wie Bauch, Humanismus in Wien 91 aus Epigr. IV, 50 schließen will, sondern über Apulejus.
  6. [252] 53) Horawitz, Des Beatus Rhenanus literar. Tätigkeit 1508–31 [SBWA LXXI] 675-8.
  7. [252] 54) Für ihn muß noch immer auf die alte Biographie von Lotter-Veith, Historia vitae atque meritorum Conradi Peutingeri Iurisconsulti Augustani. Augustae Vindelicorum 1783 verwiesen werden. Für die theologische Stellung Peutingers habe ich einiges Material in der Festgabe für Karl Theodor von Heigel 1902 beigebracht, das aber jetzt schon ergänzungsbedürftig ist. Eine neue Biographie ist von Erich König zu erwarten, s. zunächst dessen Vortrag i. d. Wissenschaftl. Beilage zur Germania 1909 Nr. 44 (Konrad Peutinger als Historiker).
  8. [252] 55) Das Material für die folgenden Ausführungen liegt zerstreut und unverwertet in den Bänden des Corpus inscriptionum latinarum vor, wo besonders Mommsen und Hübner wertvollste Beiträge zur humanistischen Gelehrtengeschichte geboten haben.