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erweisen.[1] Die Grenzen seines Deutschlands sind durchaus die Sprachgrenzen. Die rheinischen Freunde, die sein Leben beschrieben[2], rühmen von ihm, daß er als erster wandernd nach allen vier Seiten die Grenzen deutscher Zunge erreicht habe. Er selbst hat seine unsteten Wanderfahrten mit dem gleichen Hinweis gerechtfertigt[3] und damit das größte Verdienst seiner Forschertätigkeit richtig erkannt. Bei all seinen Beobachtungen verschmelzen ihm Altertum und Gegenwart zu einem Bilde. Die Freunde, wie Gresemund und Vigilius, müssen es sich gefallen lassen, als Cherusker und Chatte angeredet zu werden. Er kann kaum einem den Ruhmeskranz winden, ohne ein Blättchen von Alter und Vorzügen der Heimatsstadt einzuflechten, wobei es ihm dann freilich nichts ausmacht, die Ungarn auf dem Lechfelde dem Kaiser Karl unterliegen zu lassen oder Gregor VII. unter Friedrich Barbarossa zu setzen.[4] Die alten Germanen sind ihm ein Volk rauher und arbeitsamer Ehrlichkeit. Ihre körperlichen und geistigen Eigenschaften findet er im Guten und Bösen – soweit nicht Italiens Luxus die Übel vermehrt hat – in den Deutschen seiner Zeit wieder, während er die erstaunlichen Wandlungen im Aussehen des Landes, denen er überall seine Aufmerksamkeit geschenkt hat, auf den Einfluß der Sterne zurückführt.[5]

Hier aber bei der Frage nach dem Segen oder Unsegen der Kultur werden seine Ansichten unsicher. Wie er von den beiden großen deutschen Erfindungen die der Buchdruckerkunst preist, die der „Bombarden“ aber haßt, so wäre er geneigt, in jenen kulturlosen Zuständen das goldene Zeitalter der Dichter zu sehen[6], wenn nicht damit auch die geistige Unkultur verbunden wäre. Da schafft eine kühne Vermutung ihm einen Ausweg. Seine Germanen sind, wenn sie nicht schon ursprünglich griechisch sprachen[7], von den „griechisch lebenden“ Druiden, die Tiberius aus Gallien vertrieben hat, in die Kultur eingeführt worden, und die Nachfolger derselben sind die „Mönche in den schwarzen Kutten“, deren Klöster, an Stelle der alten Orakelstätten in den Tiefen der Wälder erbaut, unter den Karlen, Arnulfen und Ottonen als die Kulturmittelpunkte erscheinen.[8]

Die Handschriften der Griechen und Römer aber, die man in diesen Klöstern findet, sind nach Celtis die Beutestücke, die die alten Kaiser von ihren Kriegsfahrten mitgebracht haben; eine undankbare Nachwelt hat sie vermodern lassen.[9]

Wir werden sehen, von welcher Bedeutung diese Anschauung für einen großen Teil der humanistischen Geschichtschreibung geworden ist. Es wäre deshalb wichtig, ihren Ursprung festzustellen.


  1. [249] 21) Oratio l. c.; dazu Germania generalis: De tractu Hercyniae silvae und Norimberga, cap. 3.
  2. [249] 22) Mit den Oden 1513 gedruckt.
  3. [249] 23) Amores IV, 1.
  4. [249] 24) Odae III, 6; Amores II, 4.
  5. [249] 25) Germania generalis l. c. Oratio l. c.
  6. [249] 26) Bezold 227 f.
  7. [249] 27) Oratio Einleitung: si prisca illa Germaniae nostrae ingenia florerent aetasque illa redisset, qua legati nostri Graeco sermone quam Latino dicere maluisse memorantur. Dazu die bei Klüpfel I, 26 zitierten Stellen.
  8. [249] 28) Norimberga, cap. 3 und Odae III, 28: Ad Joannem Tritemium Druidam, abbatem in Sponheim. Vgl. Bezold 217 f.; 227.
  9. [249] 29) Oratio l. c., wo zu lesen ist: Me Germaniae meae pertaeduit, dum manubias [Text: manibus] imperatorum nostrorum de Graecis Italisque in abigenda servandaque pretiosa librorum suppellectili considero, quas nos velut in carcere occlusas pulvere obsitas intactasque neque ab imbribus tutas adhuc tamquam hostium spolia despecta relinquimus.