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Aber er gab ihnen noch mehr: er schloß die Bestrebungen der Humanisten, die sich auf die Verherrlichung des deutschen Altertums richteten, mit jenen Kampfesschriften zusammen.

Wenn ein Humanist der älteren Periode die Siege der Deutschen über das römische Imperium verherrlichte, so lag es ihm doch fern, Nachfolger der alten Imperatoren im Italien seiner Zeit zu suchen, schon der Begriff der Translatio imperii verhinderte ihn daran, und umgekehrt können Publizisten und Redner für die germanische Freiheit gegen Rom deklamieren, ohne an jene alten Zeiten zu denken.

Mit Hutten wird das anders. Für ihn sitzen die Nachkommen des Varus und Germanikus jetzt auf dem päpstlichen Thron, und die Kämpfe, die er mit den Romanisten führt, haben eine lange Ahnenreihe und einen erlauchtesten Vorkämpfer: Arminius.

Wir haben den Namen schon bei Nauklerus gefunden. Aber nicht mehr als den Namen; bei Hutten gewinnt er Fleisch und Blut.

Es ist interessant zu sehen, wie ihn gleich Naukler und anderen zunächst noch die Überlieferung von der Varusschlacht bei Augsburg an einer freien Auffassung der Tat des Arminius hindert. Er hatte ihn schon 1512 neben Ariovist unter den alten Königen der Germanen genannt, aber noch 1515 sucht er im Panegyrikus auf Albrecht von Mainz, einer Geschichtsklitterung Peutingers folgend, die Florusstelle mit der Augsburger Lokaltradition zu verbinden.[1] Da aber gibt eben in diesem Jahre der jüngere Beroaldo die aus Deutschland nach Italien gewanderten fünf ersten Bücher der Annalen des Tacitus heraus. Hutten schilt heftig auf das der Ausgabe vorgesetzte harmlose Privileg Leos X. gegen den Nachdruck, das ihn verhindert, auch diesen Schatz seinen Deutschen direkt zugänglich zu machen, und es ist ihm ein magerer Trost, daß er dagegen 1519 aus Mainz einen vollständigeren Livius bevorworten darf.[2] Aber er weiß nun aus Tacitus, daß die Varusschlacht nicht am Lech, sondern nahe der Weser stattgefunden hat, also im Lande der „alten Sachsen“, die ihm schon längst, wohl von dem eigenen Studienaufenthalt in Rostock und Greifswald her, mit ihren ehrwürdigen Rechts- und Landesbräuchen, vielleicht auch mit ihrer unbändigen Trunksucht als die echten Erben der alten Germanen erscheinen und die er 1520 gegen Friedrich den Weisen ganz so als die deutsche Hauptnation zu rühmen weiß, wie Bebel seine Schwaben, nur mit besseren Gründen.[3] Und nun wird ihm Arminius der eigentliche deutsche Held, der in einem Totengespräch[4] vor dem Throne des Minos nicht nur seinen Platz als Feldherr vor Alexander und Hannibal beanspruchen darf, sondern


  1. [248] 12) Opp. III, 210, 335, 377 und Boeckings Anmerkungen zu den Stellen.
  2. [248] 13) Opp. I, 249; IV, 153.
  3. [248] 14) Opp. I, 390; IV, 285 ff. Strauß 144.
  4. [248] 15) Opp. IV, 407 ff. (Opus postumum). Zur Konzeption der Idee Opp. I, 390 mit Boeckings Anmerkung.