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Geschichte anzuwenden, sowohl direkt, wenn er etwa für Arnulf den Bösen die Worte braucht, die er aus Cicero für Cäsar zitiert hatte[1], als auch indirekt, indem er kaum eine der wichtigeren Personen seiner Erzählung ohne eine zusammenfassende Bemerkung über ihren Charakter an uns vorüberziehen läßt. Und wie ihm für die alte Geschichte die Anekdoten des Valerius Maximus zur Belebung des Charakterbildes willkommen waren, so sucht er jetzt solche aus dem Mönch von St. Gallen, Wilhelm von Malmsbury usw. zusammen, um uns Karl den Großen oder Heinrich III. deutlich zu machen. Jakob von Bergamo mag da eingewirkt haben, ebenso aber auch die Facetien Bebels, in denen sich manche historische Anekdote fand.

Wenn Naukler sodann in der alten Geschichte vor allem diejenigen Quellen bevorzugt hatte, die Äußerungen der handelnden Personen, womöglich Reden boten, so sehen wir jetzt, daß ihn dabei nicht ein rhetorisches Interesse leitet, wie die Italiener, die selbst solche Reden im Geiste der Alten erfanden. Er glaubt vielmehr mit solchen Quellenstellen dem berichteten Ereignis näher zu kommen, als mit andern, die nur einen Bericht des Schriftstellers bieten.

Bei der deutschen Geschichte treten nun an Stelle der Reden die Briefe, und ihnen zur Seite die Urkunden und Inschriften. Er will die Geschichte lieber e maiorum documentis et literarum testimoniis als nach den Meinungen der übrigen Schriftsteller behandeln[2], und wenn er seinen Reichtum auch oft in unzulässiger Weise durch das von Biondo und Platina Erarbeitete größer erscheinen zu lassen sucht, als er ist, so ist doch auch, was er selbst bietet, beträchtlich. So baut er seine Darstellung der Christianisierung Deutschlands ganz vorzugsweise auf den Briefen des Bonifatius auf, er gibt die wichtigsten Aktenstücke zur Geschichte des Investiturstreits im Wortlaut, bringt aus Hirschau den freilich gefälschten Briefwechsel zwischen Friedrich I. und Hadrian IV. über die Vorrechte beider Gewalten, der bald in der Polemik der Zeit seine Rolle spielen sollte; zur Geschichte Ludwigs des Baiern hat er Wertvolles zum ersten Mal gesehen.[3] Mit den Inschriften ist es ihm freilich schlechter ergangen, doch hat er versucht, auch sie sprechen zu machen.[4]

Man kann sagen, Zeugnisse dieser Art sind um so häufiger, je mehr Interesse Nauklerus seinem Gegenstand entgegenbringt, und man sieht dann, daß dieses Interesse neben den schwäbischen vor allem den kirchlichen Dingen gilt. Wie er hier Anteil nimmt, zeigt zunächst die Darstellung des Investiturstreits.

Es ist für Nauklerus wie für alle älteren deutschen Humanisten


  1. [246] 90) Vgl. II, 137b mit I, 178b: Euripideum hoc volutans, quod in ore Julius Caesar habuisse dicitur: Quod si violandum ius est, regnandi gratia violandum est.
  2. [246] 91) II, 107b, vgl. 110: Brief Karlmanns über Bonifatius „in veterum monumentis“.
  3. [246] 92) Die (unvollständige) Aufzählung der von Nauklerus benutzten Aktenstücke bei Joachim 31 ist ergänzt von Weiland (HZ. XXXIV, 425) und Wichert, Jakob von Mainz 300. Für den Briefwechsel Friedrichs I. mit Hadrian und seine Verwertung in der Reformationszeit s. Simonsfeld i. d. SBMA 1908 juli.
  4. [246] 93) Joachim 30. Dazu die Korrekturen Weilands l. c. 424. S. auch Chronik II, 145b: Deinde (nach dem Cimbern- und Teutonensturm) romana arma citro ultroque per Noricum visa sunt, cum interdum tres legiones initio(!)belli Gallici sustinuere, quas C. Julius duabus additis, ut ipse scribit, in Gallias traduxit, ubi excisam rupem patefecit, ut ex vetuatissimo quidem epigrammate saxi in monte crucis dicto datur intelligi: C. Julius Caesar. Reliqua vetustate nequeunt legi. Chronik II, 186 zeigt er Kenntnis der Inschriften der Hohenstaufengräber in Lorch.