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des Gossembrot-Meisterlinschen Kreises spiegelt, so erklärt sich die des Nauklerus aus dem Tübinger Humanismus.

Dieser aber ist wesentlich anderer Natur als der Nürnberger und auch der Straßburger. Wir sahen, wie die Verehrung für den neuen Stil Leute wie Meisterlin und Schedel, aber auch noch Wimpfeling zum einfachen Abschreiben italienischer Vorbilder führt und sie damit bei Enea Silvio und Campano festhält. Hier in Tübingen nun führt Heinrich Bebel in seiner Schrift: qui autores legendi sint einen ersten Hieb gegen die stilistische Autorität des Enea und verweist auf die Alten als die eigentlichen Stilmuster. Und diese Schrift ist Nauklerus zugeschrieben, an der Diskussion über diese Fragen muß er, wie der Text zeigt, Anteil genommen haben.[1] Den Platonikern um Uranius sind die Griechen mehr als leere Namen, ein gut Teil ihrer Theologie geht auf sie als auf die reinen Quellen zurück.[2] Auf dem gleichen Wege gelangt Nauklerus zu den Alten selbst, zu den Lateinern und vielleicht auch zu den Griechen.[3] Sie geben seinem Geiste die Richtung, von ihnen beeinflußt schafft er das erste kritische Geschichtswerk Deutschlands.

Auf den ersten Blick sieht die Chronik allerdings nicht danach aus. Das alte ungefüge System der sechs Weltalter ist dadurch nicht brauchbarer geworden, daß Nauklerus „Generationen“, seit Christi Geburt zu je 30 Jahren, hineingebaut und dies sorgfältig, aber ganz theologisch motiviert hat. Auch die Erörterung über die griechischen Götter läßt erkennen, daß Nauklerus hier, wie Fabri, seinen Standpunkt bei Laktantius nimmt, und die dürftigen Sätzchen über die geistigen Größen Griechenlands werfen uns fast bis auf Ekkehard zurück.

Aber schon bei Alexander dem Großen bemerken wir, wie Justin, der, bei Jakobus und bei Schedel nur in die alten Nachrichten eingeschoben, die Verwirrung der Überlieferung nicht hatte beheben können, Grundlage einer völlig neuen Darstellung wird. Der zweite punische Krieg sodann erscheint in einer den mittelalterlichen Chroniken fremden Ausführlichkeit. Orosius liegt wohl zugrunde, aber er ist aus Plutarch, Eutropius, Valerius Maximus, Florus und vor allem aus Livius ergänzt. Man sieht dann bald, daß diese Autoren nicht wahllos benutzt sind. Im allgemeinen erscheinen diejenigen bevorzugt, die Reden der handelnden Personen bringen, im einzelnen ist jede nach ihrer Eigenart verwertet. So gibt Valerius Maximus Anekdoten, die da und dort den Plutarch erweitern können, der rhetorische Florus Zusammenfassungen und Übergänge.[4] Denn wenn Jakobus seine Quellen möglichst in kleine biographische oder annalistische


  1. [243] 60) Adde (sc. Petrarcae et Boccaccio) Gasparinum Bergomensem, qui et ipse inter primos est, qui veteris eloquentiae umbram assequi conati sunt, qui ad epistolas familiares, ut ipse mihi testis es, Johannes Nauclere virorum optime, non est inamoenus, licet in elocutione eius aliquid desiderent. Die Abhandlung ist undatiert, nach dem Druckjahr spätestens von 1504, wahrscheinlich früher.
  2. [243] 61) Hermelink, Die Anfänge des Humanismus in Tübingen (Württemb. Vjshefte f. Ldsgesch. 1906) S. 319 ff.
  3. [243] 62) Ob Nauklerus griechisch konnte, ist fraglich. Joachim S. 15 hat die in der Chronik vorkommenden griechischen Stellen dem Melanchthon zuschreiben wollen, der nach einer spätern Nachricht die Chronik, die nur ungeordnetes Material darstellte, überhaupt erst druckfähig gemacht habe. Doch hat H. Müller in den FDG. XXIII, 595 ff. nachgewiesen, daß nicht Melanchthon, sondern Nikolaus Basellius Urheber der Interpolationen in der Chronographie des Nauklerus sei und Lier (ADB XXIII, 298) vermutet glaublich, daß in der Nachricht über Melanchthon die Chronik des Nauklerus mit der des Carion verwechselt sei, Entstanden ist die Meinung wohl daraus, daß Melanchthon damals Korrektor bei Thomas Anshelm war, der die Chronik druckte (Ellinger, Melanchthon 79 und Hartfelder, Melanchthon als praeceptor Germaniae 294 f.). Aber die ganze Annahme von Interpolationen und einer abschließenden Redaktion bedarf, wie schon Müller gesehen hat, einer starken Einschränkung, wahrscheinlich ist sie überhaupt abzuweisen. Jedenfalls las Michael Köchlin (Coccinius) das Werk schon 1506 so wie wir, s. die Zitate in De imperii a Graecis ad Germanos tralatione Bl. A 7 ff. Eine große Anzahl der griechischen Stellen ist nicht, wie Joachim meint, gut zu entbehren, sondern sicher ursprünglich z. B. II, 26, 156b, 170b, 229, 256b. Auch die Erwähnung des Ligurinus (Joachim S. 29) ist es, da auch Bebel ihn vor dem Drucke kennt (s. u. Anm. 84 und 102). – Griechische Quellen benutzt jedoch Nauklerus nicht; was er und Bebel von solchen zitieren, z. B. Herodian und Agathias, war damals schon übersetzt und zum Teil gedruckt.
  4. [243] 63) S. I, 148: Post Carthaginem, ut ait Florus, vinci neminem puduit. Secutae sunt statim Africam gentes Macedonia, Graecia, Syria caeteraque omnia quodam quasi aestu et torrente fortunae. Vgl. auch die Verbindung, die Nauklerus I, 172b zwischen den Triumphen des Pompejus und der Geschichte Cäsars mit Orosius VI, 14 und Florus I, 45 herstellt.