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die Chronik berühmt gemacht. Er ist auch hier nicht imstande, selbst so handgreifliche Irrtümer, wie den des Jakobus von den „Deutschland benachbarten“ Trierern zu verbessern, aber er steht doch merkwürdig kritisch zu den verschiedenen Gründungsfabeln, auch zu denen seines Freundes Meisterlin, und – was mehr ist – nicht wenige der Städtebeschreibungen verraten Augenschein, der sich in bemerkenswerter Weise auch den Resten des Altertums zugewandt hat.[1] Möglich ist allerdings, daß Schedels Freund und Kollege Hieronymus Münzer gerade an dem geographischen Teil mehr Anteil hat, als wir bis jetzt wissen,[2] immerhin sehen wir Schedel hier auf dem Wege, der den kritischen Humanismus zu dem Plan der Germania illustrata und Sebastian Münster zu seiner Kosmographie führt.


Im ganzen bleibt Schedels Buch eine scholastische Arbeit im humanistischen Gewande. Von der Chronik des Nauklerus darf man das Umgekehrte sagen.

Johann Verge, genannt Nauklerus[3], ist ein Zeitgenosse der älteren Humanisten. Er muß vor 1450 studiert haben, vielleicht in Italien, jedenfalls ist er aber nicht der freien Künste wegen hingegangen, sondern er widmet sich dem kanonischen Recht und wird doctor decretorum. Dann erscheint er als Erzieher des jungen Grafen Eberhard von Württemberg, 1459 oder 1460 als Propst in Stuttgart, dann auf einer Landpfarrei, seit 1477 als Lehrer des kanonischen Rechts und dann als Kanzler der neuen Universität Tübingen. In dieser Stellung schreibt er mindestens seit 1498 an seiner Weltchronik, die er 1504 beendet.[4] 1516 ist er, ohne sie veröffentlicht zu haben, gestorben.

Hätten wir die Chronik nicht, wir würden seinen Namen in der Geschichte des Humanismus kaum finden. Er ist nicht unter den Männern, die Eberhard von Württemberg, dem zwar ungelehrten, aber für alle Wissenschaften empfänglichen Fürsten, ihre Übersetzungen oder Panegyriken darbringen, nicht im Kreise des Uranius und Reuchlin, die in Deutschland die begeistertsten Verehrer der platonischen Akademie und des Marsilio Ficino sind, und dem doch sein eigener Bruder angehörte[5], nicht unter den dichtenden Genossen Heinrich Bebels, die mit diesem den Kampf für den reinen Stil und die wahre Poesie führen.[6]

Dennoch steht Nauklerus mit diesen Männern in Beziehungen, er hat manche von ihnen beeinflußt, von andern vielleicht Einflüsse empfangen, und wie Schedels historische Kompilation den Humanismus


  1. [242] 54) S. die Einschübe bei Köln, Aachen und Trier. Auch für die Beschreibung Roms (f. LVIIb) finde ich kein Vorbild.
  2. [242] 55) Haitz 50. Für Münzer ist noch zu vgl. Anz. f. Kde. dtr. Vorzeit XXVI, 357 ff. Bauch, Humanismus in Ingolstadt 77 und besonders Grauert in HJb XXIX, Heft II, sowie im Exkurs zu Stauber S. 257 ff.
  3. [242] 56) E. Joachim, Johannes Nauclerus u. s. Chronik. Diss. Göttingen 1874. Die Arbeit legt, wie auch die Forschungen von König (FDG XVIII, 47) und Wichert, Jakob v. Mainz, das Hauptgewicht auf die Rekonstruktion verlorener Geschichtsquellen, die Nauklerus benutzt hat. Was Horawitz i. d. Zs. f. dte. Kulturg. 1875 über Nauklerus sagt, ist fast ganz verfehlt, es ist erstaunlich, daß er SBWA LXXXVI, 219 meinen konnte, er habe dort gezeigt, daß des Nauklerus Historiographie der Abschluß der mittelalterlichen und der Beginn der modernen sei. Ich hoffe durch meine Bemerkungen im Text zeigen zu können, daß die Untersuchung über die historiographische Bedeutung des Nauklerus und seine Stellung im Tübinger Humanismus noch einmal geführt werden muß. Die Zitate nach der Originalausgabe von 1516.
  4. [242] 57) Im Text weisen die meisten Stellen auf 1504, s. Joachim 18 f., eine (II, 197) muß vor 1503 (Tod Georgs des Reichen) geschrieben sein. Daß Nauklerus mindestens schon 1498 mit der Abfassung beschäftigt gewesen sein muß, zeigt ein Brief an Reuchlin, in dem er für die Übersendung des Gaguin dankt (Geiger, [243] Reuchlins Briefwechsel 56, vgl. 59). Merkwürdig ist dann ein Brief Georgs von Gemmingen an Reuchlin (ibid. 67) 1500 dez. 4, der sich historische Schriften Nauklers erbittet. Daß aber der Plan schon 1499 auf eine Weltchronik gegangen sein muß, zeigen Verse Bebels an Nauklerus (Abdruck bei Zapf, Bebel 145 aus der Ausgabe der Oratio ad Maximilianum von 1504).
  5. [243] 58) Grauert, Dante in Deutschland in HPBII CXX, 332 ff.
  6. [243] 59) Geiger, Renaissance und Humanismus 423.