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IV.
Humanistische Weltchroniken.

Weder die Männer um Wimpfeling noch die Trithemianer hatten also einen entscheidenden Bruch mit der Vergangenheit vollzogen. Man konnte in ihrem Sinne Humanismus treiben und sich doch an der Stoffülle der alten Chroniken ergötzen. Aber das war allerdings eingetreten, daß man in weiteren Kreisen manches an den den gesamten geschichtlichen Stoff umfassenden Kompilationen als veraltet empfand und sie durch Werke zu ersetzen suchte, die in Stil oder Inhalt modern erschienen. Daß dies aber in Deutschland so schnell geschah, hat wieder das Beispiel Italiens bewirkt. Hier entstanden die Arbeiten, die die Deutschen ermutigten, humanistische Weltchroniken zu schaffen.

Schon zu den Zeiten, wo Bruni und Poggio in Florenz Geschichte schrieben, lebte im Dominikanerkloster zu Fiesole Antonio Pierozzi, seit 1446 Erzbischof von Florenz.[1] In seinem Leben von aufrichtiger, werktätiger Frömmigkeit, die auch den spottsüchtigen Humanisten Ehrfurcht einflößte, ist er in seiner Geistesrichtung das Kind einer längst entschwundenen Vergangenheit. Sein Lebenswerk ist eine theologische Summa gewaltigsten Umfangs, in Titel und Anlage eine Nachbildung der großen dominikanischen Kompilationen des hohen Mittelalters. Als ein Teil dieser Summa entsteht ein Chronicon universale in drei starken Foliobänden. Der Autor hat daran bis zu seinem Tode 1459 gearbeitet[2], schon 1484 ist das Werk gedruckt worden.

Antonin hat nicht den geringsten Neuerungsgedanken. Er ist Kompilator mit Bewußtsein und Absicht. Er folgt dem alten Schema der sechs Weltalter und der vier Weltmonarchien und teilt im übrigen säuberlich nach Tituli, capitula und paragraphi, wie in einem Lehrbuch der Moral. Das ist die Chronik eigentlich auch. Wenigstens der Zweck der Arbeit ist rein erbaulich, die Menschen sollen aus der Geschichte ein doppeltes lernen, die Gnade Gottes erkennen und Muster für gute Werke finden.[3] Antonius Quellen sind die üblichen des Mittelalters: Vinzenz von Beauvais ist Vorbild, nächst ihm steht


  1. [238] 1) Für seine Persönlichkeit die schöne, nur offenbar ohne Berücksichtigung der Chronik geschriebene Charakteristik bei Voigt, Wiederbelebung I³, 379 f. Für die Chronik Schaube, Die Quellen der Weltchronik des hl. Antonin, Erzbischof von Florenz. Programm Hirschberg 1880. Daselbst Quellennachweis für Tit. XIX–XXI. Der für Tit. XXII in Aussicht gestellte ist leider nicht mehr gegeben worden. Ich benütze die (wohl erste) Ausgabe Nürnberg, Koberger 1484 = Hain nr. 1159. – Für andere Seiten der Tätigkeit Antonins s. die Literatur im HJb. XXVI, 112 ff.
  2. [238] 2) S. die Daten bei Schaube. Danach ist das Chronicon schon 1454 bis zum Jahre 600 n. Chr. geführt, doch müssen Nachträge gemacht sein, da Tit. IV, Kap. 5 prooemium 1458 als praesens dies erscheint. Merkwürdig ist auch, daß es bei der Übertragung des Reichs auf die Deutschen unter Otto I. im Inhaltsverzeichnis heißt: et perseveravit [apud Alemannos] usque in praesens sc. 1471, während der Text an der gleichen Stelle Tit. XVI, Kap. 3 1456 hat.
  3. [239] 3) S. die Vorrede.