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primitivsten sind ohne den Humanismus nicht möglich. Nicht nur der Versuch, den neuen Stil zu schreiben, macht Matthias von Kemnat, Meisterlin oder Fabri humanistisch, auch die ganze Tendenz, mit der sie an die Arbeit gehen. Sie schaffen die neuen Gattungen der Geschichtschreibung oder legen sie doch an: Wir haben die Fürstengeschichte, die Stadtgeschichte, die Stadtbeschreibung, die Beschreibung von Deutschland, den Abriß der deutschen Geschichte, die Aufzählung geistiger Größen, die kulturgeschichtliche Umschau im Werden gefunden. Auch alte Stoffe erschienen in neuer Behandlung. Meisterlin sucht die alte Überlieferung der Afra- und Sebaldlegende mit dem neugewonnenen historisch-antiquarischen Wissen in Einklang zu bringen, er müht sich um eine innerliche Gliederung seiner heimischen Klostergeschichte und faßt sie schon als Geistesgeschichte auf, wie später in großartigerer Weise Trithemius. Wimpfeling sagt in seinem Straßburger Bischofskatalog, es komme ihm weniger auf Feststellung von Todesjahr und Regierungszeit der einzelnen Bischöfe an, wenn er nur in der Schilderung ihres Lebens, Charakters und ihrer Taten von der Wahrheit nicht abweiche.[1] Man sieht, daß auch hier die Auffassung von dem Wissenswerten in der Geschichte eine andere geworden ist.

Und die Autoren wissen, daß sie etwas Neues schaffen. Meisterlin betont wiederholt, es habe vor ihm wohl Aufzeichnungen über Augsburger Klostergeschichte und Nürnberger Stadtgeschichte gegeben, „aggregator vero ante me nullus“.[2] Fabri sagt, daß er vergebens eine Beschreibung Deutschlands gesucht habe. Er empfindet die Aufgabe, sie zu schaffen, um so dringender, als die neuen Karten ein neues Weltbild bieten.[3] Als sich nun vollends die Absichten auf eine deutsche Geschichte richten, da erscheint sich ein jeder, der daran geht, als ein Pfadfinder auf unbekanntem Gebiete. Enea Silvio hatte auch hier den Ton angegeben: „Wir sind abgeschweift“, sagt er bei der Beschreibung Sachsens in seiner Europa,[4] „und das darum, weil die alten Schriftsteller zu wenig von Deutschland geschrieben haben, und als ob dies Volk außer der Welt läge, nur traumweis deutsche Dinge berühren.“ Das klingt nun überall nach, bald verbunden mit Ausfällen gegen die alten und neuen Römer, die den Ruhm der Deutschen nicht künden wollten, mit Klagen gegen die Vorfahren, die mehr auf tapfere Taten, als auf ihre Aufzeichnung gesehen hätten, mit Ausdrücken des Bedauerns, daß Quellen, wie das Buch des Plinius von den deutschen Kriegen verloren seien, mit Vorwürfen gegen Fürsten und Stadtoberhäupter, die Bemühungen um die Kunde der Vorzeit jetzt noch nicht förderten.[5]

  1. [237] 122) Aus dem Catalogus episcoporum Argentinensium ausgehoben von Hegel (St. Chr. VIII, 65).
  2. [237] 123) Meine Arbeit über Meisterlin 123, 162.
  3. [237] 124) Evagatorium I, 3.
  4. [237] 125) Europa cap. 23.
  5. [237] 126) Vgl. Meisterlin in d. St. Chr. III, 55, 167. 249. Wimpfeling, Epitome cap. 54. Trithemius kennt in der Vorrede zum 2. Teil der Annales Hirsaugienses nur zwei deutsche Fürsten, die Geschichte lieben.