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Courtrai,[1] wo 1302 die Blüte des französischen Adels den flandrischen Handwerkerspießen erlag, mit Wimpfelings Scheltworten über die Schweizer zusammengestellt.[2] Vor allem aber an staatsmännischem Sinn. Er weiß, was es bedeutet, daß das französische Parlament seinen Ursprung auf Pippin zurückführen und an das alte Märzfeld der Franken anknüpfen darf – wie haltlos erscheinen dagegen Brant und Wimpfeling mit ihren gelegentlichen Hinweisen auf die ’franca oder romana libertas’, deren sich Deutschland und besonders das Elsaß erfreue.[3] Und wie erst, wenn man ihre Stellung in den kirchenpolitischen Fragen mit der Gaguins vergleicht! Hier steht Gaguin gegen sie, wie Pierre Dubois gegen Lupold von Bebenburg, und doch hatte der französische Trinitariermönch, der sich stolz rühmen durfte, durch keines Königs Freigebigkeit zu seinem Werke veranlaßt zu sein, bei den Kirchenräubereien Karl Martells und dem Überfall Philipps des Schönen auf Bonifaz VIII. noch zu ganz anderen Dingen Stellung zu nehmen, als die Deutschen, wenn sie von Sutri und Canossa sprachen.[4] Und endlich übertrifft Gaguin seinen Rivalen erheblich in der Komposition seines Geschichtswerkes. Er wollte allerdings keine Epitome, sondern ein Kompendium schreiben, aber das war sicher das schwerere, und man darf sagen, daß im elsässischen Humanismus keiner vermocht hätte so bewußt nur diejenigen Blumen in seinen Kranz zu winden, „die durch die Verschiedenheit ihrer Farben dem Werke Charakter und Schmuck zugleich geben“. –

Wimpfeling ist eben kein Forscher, und seine Genossen und Schüler sind es ebensowenig. Gerade die Mängel seiner Anschauungs- und Darstellungsweise erscheinen bei ihnen gesteigert: die halb journalistische, halb predigerhafte Art von jedem Thema auf jeden Gegenstand zu kommen, der dem Autor am Herzen liegt, in den patriotischen Psalmenerklärungen von Thomas Wolff, die Sucht, dem Gegner auch da nicht Recht zu lassen, wo er es hat, und Beweisstücke um Lieblingsmeinungen wahllos aufzutürmen, in der Libertas Germaniae von Hieronymus Gebwiler. Aber aus Gebwilers Schule kommt Beatus Rhenanus, der den kritischen Humanismus im Elsaß heraufführt, und auch bei ihm wie bei Irenicus und noch bei Aventin werden wir manche der Murrho-Wimpfelingschen Ideen lebendig finden. –


Die Werke all der Männer, die wir in diesem Abschnitt besprochen haben, zeigen ein merkwürdiges Doppelantlitz. Auch die


  1. [237] 118) Compendium f. 58: Hanc a plebeis ignominiam franca nobilitas accepit, quae suis viribus et generis claritate freta atque superbiens popularem turbam et ministeriis vilioribus operam navantem contempsit. Sumit enim animos, quisquis libertatem tuetur, nec inermis aestimari debet, qui pro patria vitaque decertat.
  2. [237] 119) Wimpfelings Äußerungen über die Schweizer hat Knepper, Wimpfeling 210 zusammengestellt.
  3. [237] 120) Brant bei Zarncke 127; dazu Knepper, Nationaler Gedanke 971 (aus der Freiheitstafel), Wimpfeling, Epitome cap. 24.
  4. [237] 121) Ich setze das Schlußurteil Gaguins über Bonifaz VIII. her [Compendium f. 68b]: Talem vitae exitum habuit contemptor omnium hominum Bonifacius, qui Christi praeceptorum minime recordatus adimere et conferre regna pro suo arbitrio conabatur, cum non ignoraret et eius se loco versari in terris, cuius regnum non est de hoc mundo et terrenis rebus, sed de celestibus esset, quique dolo et malis artibus episcopatum Romanum sibi quaesiverat et Coelestinum, a quo dignitatem receperat, in carcere, dum vixit, habuerat.