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war. Das ist nicht der Fall. Wimpfeling ruft Lupold allerdings für die deutsche Abkunft Karls des Großen zum Zeugen an, aber läßt sich die Angaben Lupolds über die Kämpfe der sächsischen Kaiser um Lothringen, wo er auch den Vertrag zu Bonn von 924 hätte finden können, entgehen, obgleich sie doch wertvollstes Material gerade für die Frage der deutschen Westgrenze boten. Und von den staatsrechtlichen Anschauungen Lupolds hat er sich zwar, wie seine 1515 erschienenen Responsa et replicae ad Aeneam Sylvium zeigen, die zu eigen gemacht, daß man gegen die von den italienischen Kurialisten den Deutschen so oft vorgerückten Wohltaten des römischen Stuhles wohl eine Gegenrechnung stellen könne.[1] Aber die Hauptgedanken, welche Lupold im Anschluß an die Vorgänge beim Renser Kurverein über Wahlrecht der Fürsten und Konsekrationsrecht des Papstes ausgesprochen hatte, haben auf Wimpfeling ebenso wenig gewirkt, wie die juristisch verklausulierten aber doch tiefgreifenden Ausführungen Lupolds über die konstantinische Schenkung.[2]

Wimpfeling und der ganze elsässische Kreis ziehen ihre Anschauungen über das Verhältnis der geistlichen und weltlichen Gewalt eben nicht aus den Kämpfen der Salier, Staufer und Ludwigs des Bayern, sondern aus einer Betrachtung der großen Konzilien von Konstanz und Basel. Und wenn man die Konzilsfreunde des 16. Jahrhunderts, die alles Heil von einem neuen Konzil hofften, die Expektanten genannt hat, so könnte man hier wohl von Retrospektanten sprechen. Dabei aber ist Wimpfeling so unkritisch, daß er, der doch dem Katalog berühmter Deutscher des Trithemius eine Erwähnung Gregor Heimburgs hinzugefügt hatte, noch 1510 meinen konnte, die Aschaffenburger und Wiener Konkordate bedeuteten für Deutschland etwa dasselbe, wie die pragmatische Sanktion der Franzosen[3], und so unbekannt mit dem Umschwung, der sich in der Kurie mindestens seit der Bulle Execrabilis Papst Pius II. vollzogen hatte, daß ihm noch 1512 eine Schrift wie die Cajetans über die Konzilien eine schmerzliche Überraschung bereitete.[4]

Für die Behandlung der geistlichen Konflikte des Mittelalters aber waren die Retrospektanten überhaupt schlechter gerüstet wie die Juristen des 14. Jahrhunderts. Denn auf den Konzilien fehlt eine feste Vertretung der weltlichen Gewalt und die Streitfrage heißt nicht mehr: Papst oder Kaiser, sondern: Absolutismus oder Konstitutionalismus in der Kirche. – So kann die Epitome bei Heinrich IV., Friedrich I., Ludwig dem Bayern nur verschweigen oder den Text ihrer papstfreundlichen Quelle ändern, wie es schon Meisterlin und


  1. [236] 110) Lupold, De jure regni et imperii cap. 5: Postea vero deficiente genere Caroli Magni in regno Germaniae quidam rex Galliae occidentalis praedictae Carolus nomine Heinrico, qui primus de gente Saxonum coepit regnare in [237] Germania, apud Bonnam confoederatus eidem Heinrico sub anno domini 924 reddidit dictum regnum. – Quelle ist der Continuator Reginonis [SS. I, 616], auch für die Jahreszahl. Zur Sache Richter, Annalen d. dt. Reichs III, 1 S. 5.
  2. [237] 111) Lupold, De jure cap. 13. Vgl. Wimpfelings Äußerung über Friedrich Reiser bei Schmidt, Hist. littér. I, 105.
  3. [237] 112) Gebhardt, Die Gravamina der dt. Nation gegen den röm. Stuhl² 78 ff.
  4. [237] 118) Wimpfeling an Brant 1512 aug. 16, gedruckt von Varrentrapp i. d. ZKG. XVI, 286 ff.