Seite:De Geschichtsauffassung 070.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

die gerne Trojaner oder Römer sein wollten. Wimpfeling geht da weiter. Hatte er schon Murrho die deutschen Päpste heraussuchen lassen, so sucht er selbst Deutsche auf dem römischen Kaiserthron, und er findet sie in dem Illyrier Diokletian, in den Pannoniern Decius, Probus, Jovian und Valentinian.[1] Aber auch hier hat er einen Führer gehabt, den Löwener Professor Raimondo Marliano, dessen Cäsarindex er ausschrieb.[2] Auch dies keine verächtliche Quelle, da Marliano vielleicht als erster die Nachrichten des Cäsar und des Tacitus über die alten Germanen zu vereinigen suchte. Wäre Wimpfeling aber zur selbständigen Auffassung dieser Gedanken vorgedrungen, so hätte er doch vor allem die große Bewegung der Völkerwanderung, die schon Meisterlin von Biondo als ein Ganzes, wenn auch noch nicht als ein Ereignis deutscher Geschichte zu betrachten gelernt hatte, und die der Tübinger Heinrich Bebel schon 1501 mit patriotischer Kraft in einer überdies von Wimpfeling an andern Stellen ausgeschriebenen Rede zu schildern wußte, mit mehr als den abgerissenen Notizen Murrhos bedenken müssen. Daran aber verhindert ihn neben seiner Ansicht von der arianischen Ketzerei vor allem der Umstand, daß diese Stämme der menschlichen Gesittung, der Kunst und Wissenschaft nichts hinzugefügt haben.[3] Denn Wimpfeling wünscht, wenn er schon seine Deutschen bei Beginn der Geschichte in einem Urzustand finden muß, sie diesen doch möglichst bald verlassen zu sehen. Deshalb hat er den Tacitus ebenso einseitig benutzt, wie nach der andern Richtung Enea Silvio, und er hütet sich wohl, die Stelle über die Spielwut der Germanen, die Beroaldo in der von ihm selbst übersetzten Declamatio de tribus fratribus angeführt hatte, in sein Buch aufzunehmen.

Um so mehr sollte man erwarten, daß er die Forschungen des Trithemius über die karolingische Kultur verwertet hätte. Er ist ihnen nahe gestanden, hat ihren Grundgedanken erfaßt. Er ist, soweit ich sehe, der erste, der bemerkt, daß sich aus den Fundberichten Poggios und seiner Genossen über die aus St. Gallen und anderswo entführten Klassikerhandschriften etwas über die alte Pflege der klassischen Studien in Deutschland schließen lasse. Aber zu einer Hineinarbeitung dieser Gedanken in sein Buch fehlen ihm die Kräfte.

Ebenso zu der der politischen Gedanken Lupolds von Bebenburg. Man sollte meinen, daß dieser Autor, den Wimpfeling und Brant gleichmäßig schätzten, und von dem sie 1508 eine zweite Schrift herausgaben[4], auch in der Epitome als Quelle hervortreten müsse, wie er ja schon bei Königshofen als solche verwertet worden

  1. [236] 106) Den Anlaß dazu konnte ihm sowohl Campanos Gleichsetzung der Geten und Goten bieten, als auch Platina, der bei Otto I. sagt: accepto Germaniae Pannoniaeque titulo.
  2. [236] 107) Marliano ist bereits Hauptquelle für den Ptolemäuskommentar des Nikolaus Donis 1486 und für Meisterlin 1488.
  3. [236] 108) Epitome cap. 8.
  4. [236] 109) De jure regni et imperii Romanorum. Brant faßt in einem Widmungsgedicht den Inhalt so zusammen: sie enthalte pontifici Caesar quid debeat, imperio et quid pontifices sacro.