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oder doch wenigstens ihrer Herausgabe an Jakob Wimpfeling überlassen.

Auch Wimpfeling hat früh Gelegenheit gehabt historisches Interesse zu gewinnen. Vielleicht schon in Schlettstadt, wo in des alten Dringenberg halbhumanistischer Schule historische Reimereien einen besonders beliebten Übungsstoff geboten zu haben scheinen[1], sicher in Heidelberg, wo er die in Schlettstadt gelernte Kunst in der Umgebung Friedrichs des Siegreichen verwendete – die Proben sind dann, wie wir sahen, von Matthias von Kemnat als gute Beute für seine Chronik benutzt worden. Wichtiger, wenn auch nicht poetischer als diese, sind zwei Gedichte aus der gleichen Zeit auf den Tod Peter Hagenbachs und die Schlacht bei Murten. Sie zeigen bereits Wimpfelings Gesinnung: die Schlacht bei Murten ist für ihn ein Sieg der Deutschen über die Franzosen.[2]

Historische Kunst konnte Wimpfeling von Matthias von Kemnat kaum lernen. Aber auf die Richtung seiner Interessen mag der pfälzer Hofkaplan einigen Einfluß gehabt haben. Bei dem erfolglosen Sturm Karls des Kühnen auf Neuß, der den Schlachten von Granson und Murten vorherging, hatte Matthias in seiner Chronik allerlei wehmütige und warnende Betrachtungen über die Lage des Reichs geboten. Er mahnt die Fürsten dem fremden Dränger einmütig zu widerstehen: „Dutt ire das, uch kriegt kein Wale, Beham oder Unger. Wan ire selbs eing sint, gewint ire nit vil, so behaltet ir doch deutsch lant, das es euch niemant angesigt, got wolle es dan gestrafft han, als gestrafft ward die statt Rome durch ire Verachtung und hochmut.“ Und nun kommt ein Überblick über die Geschichte des römischen Reichs, damit Kaiser und Fürsten sich ein Exempel daran nehmen und „die edele krone vnd chur der keiserlichen majestat“ nicht abdringen lassen.[3] Matthias mochte sich hier wohl als scutifer imperii erscheinen, wie sein Lehrer Luder.

Es ist die Rolle, in der sich Wimpfeling sein Leben lang gefallen hat. 1492 hat er seine erste literarische Fehde; als Wortführer der erregten öffentlichen Meinung und als selbsternannter „Redner des römischen Königs“ stellt er den französischen Gesandten Robert Gaguin für die Übergriffe seines Herrn, den Raub des „Fräuleins von Britannien“ und die schmachvolle Zurücksendung der Habsburgerin Margaretha in Prosa und Versen zur Rede; der Kehrreim seines Spottliedes, „die Lilien welken“, den er aus einem Gedichte Johannes Gereons parodiert hatte, ist noch 1495 Jakob Locher und 1519 Sebastian Brant zum Ausdruck patriotischer Gefühle brauchbar erschienen.[4]

  1. [235] 80) Über ein von Hartmann Schedel benutztes Carmen Dringenbergs de occubitu ducis Burgundiae s. Haitz, Hartmann Schedels Weltchronik 33 u. AnzSchweizG. N. F. I, 319.
  2. [235] 81) Schmidt I, 163 ff.
  3. [235] 82) Quellen u. Erörter. z. bayr. u. dt. Geschichte II, 94, 97.
  4. [235] 83) Thuasne, Roberti Gaguini Epistole et orationes I, 373, II, 517. Brant, Narrenschiff ed. Zarncke 198 Nr. 19.