Seite:De Geschichtsauffassung 061.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

wie Nürnberg aus dem fränkischen, Augsburg aus dem schwäbischen Kulturkreis.

Auch der bei aller Stammverwandtschaft immer deutlicher empfundene Gegensatz zu den Schwaben einerseits, den Schweizern anderseits kommt dieser Wendung zum Reiche zugute.

So entsteht ein besonderer Patriotismus, der längst auch nach historischem Ausdruck gesucht hat. Aus der Zeit des ersten Habsburgers stammten die 28 historischen Glasgemälde im nördlichen Seitenschiff des Straßburger Münsters, die nicht, wie sonst etwa bei ähnlichen Vorwürfen, die vier kühnsten Heiden, die vier weisesten Juden, die vier frömmsten Christen usw. darstellten, sondern die Reihe deutscher Herrscher seit Karl Martell. Sie fanden ihre Ergänzung in den drei gekrönten Reiterstatuen der Fassade: Chlodwig, Dagobert und Rudolf von Habsburg. Angegeben hatte diese Darstellungen vielleicht der Mann, dem Straßburg auch die Aufzeichnung seines Entscheidungskampfes mit der bischöflichen Gewalt und damit die Anfänge städtischer Annalistik verdankt, der große Ellenhard vom Münster.[1] Etwa 100 Jahre später schreibt Königshofen. Schon ihn beschäftigen Fragen, wie die nach der „Gründung und Bekehrung von Deutschland und Straßburg“[2], nach der Entstehung der deutschen Sprache[3], vor allem nach dem Deutschtum Karls des Großen. Der Humanismus ist kaum ein wenig erstarkt, so versucht er sich dieses Erbes zu bemächtigen. Brant und Wimpfeling machen sich daran.

Nach Talent, Neigungen und Lebensstellung scheint Sebastian Brant den Vortritt beanspruchen zu können. In Basel den Humanitätsstudien gewonnen, juristisch gebildet, früh den Blick mit satirischer Schärfe und sorglichem Vaterlandsgefühl auf die große und kleine Welt richtend, dann als Syndikus und Stadtschreiber in Straßburg fast 20 Jahre im Mittelpunkt der Geschäfte eines großen Gemeinwesens, endlich der Berater Maximilians bei dessen historischen Plänen – wer erscheint geeigneter als Brant, dem neuen Zeitalter ein Geschichtswerk von Wert zu geben?

In welchem Sinne er es angelegt hätte, zeigt bereits das Buch, das Brant im Jahre 1495 Maximilian widmete: De origine et conversatione bonorum regum et laude civitatis Hierosolymae cum exhortatione eiusdem.[4] Es ist ein Stück Türkenliteratur, die besonders seit dem Fall Konstantinopels sich üppig entfaltet hatte. Schon die ersten Reden von den Türkenreichstagen hatten historische Rückblicke gebracht, die Ausdeutung der Prophezeiungen führte ebenfalls dazu[5], alte Beschreibungen der Kreuzzugsfahrten finden willige

  1. [234] 62) Für Heynlin s. Zarncke vor seiner Ausgabe von Brants Narrenschiff S. XVI.
  2. [234] 63) Dehio, Historisches in den Glasgemälden des Straßburger Münsters (ZGOberrheins N. P. XXII, 471 ff.).
  3. [234] 64) Titel des 6. Kapitels in der lateinischen Chronik St. Chr. VIII, 163.
  4. [234] 65) S. meine Bemerkungen im Meisterlin 4.
  5. [234] 67) S. den von mir (Meisterlin 1141) besprochenen, aus dem Straßburger Dominikanerkonvent stammenden Traktat; dazu Kampers, Kaiserprophetien und Kaisersagen im Mittelalter 181.