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Reichsannalen, Richer, Flodoard, Regino, Frechulf von Lisieux, Otfried von Weißenburg – und die erste seiner berüchtigten Fälschungen, der Meginfried.

Seine Studien zur Ordensgeschichte haben ihn auf diese Zeit geführt. Hier sieht er die Benediktinerklöster als Mittelpunkte der geistigen Kultur. Sie sind für die Mönche damals, was die „gymnasia publica“ jetzt für alle sind. Sie müssen auch einen Zusammenhang unter sich haben, wie die humanistischen Sodalitäten, die Celtis gründete, oder wie die Klöster der Bursfelder Union, die Cusa zusammengeschlossen hatte. Das Mutterkloster ist Fulda. Fulda unter Hraban erscheint so, wie Sponheim nach des Trithemius Wunsche unter ihm sein sollte, und es trifft sich, daß er auch sein Schicksal mit dem von Hraban und Regino vergleichen darf.[1] Hier in Fulda also muß sich auch der Chronist befinden, der von diesem und so vielen andern Klöstern aus der Zeit ihrer Blüte zu erzählen weiß, nicht nur ein „Chronograph“, sondern auch ein Dichter, der aber seine Kunst im Sinne des Trithemius nicht zu nichtigen Spielereien, sondern zu Ehrenmalen der großen Verstorbenen verwendet, das ist Meginfried.

Ludwig Traube, der große Pfadfinder auf dem Gebiet der mittelalterlichen Philologie, hat uns gezeigt, wo wir ihn zu suchen haben: nicht in Fulda, sondern in St. Riquier, der einst so berühmten Abtei Angilberts in der Picardie.[2] Mit den Gedichten, die er hier las, bringt Trithemius ein buntes Material zusammen, das er kühn, aber anscheinend doch mit Wahrung der Gleichzeitigkeit von andern Klöstern auf Hirschau überträgt, und gewinnt daraus den Stoff, um der Geschichte des Klosters im Schwarzwald zwei Jahrhunderte fabelhafter Jugendgeschichte anzustücken.

Ist so alles einzelne hier Trug, so ist doch ein Stück deutscher Vergangenheit gewonnen, das für alle Früheren im Dunkel lag. Und Trithemius begnügt sich nicht mit dem Aufspüren der Zusammenhänge klösterlicher Kultur. Bei Karl dem Großen hören wir von dessen Aufzeichnungen der deutschen Volksrechte und von seinem Versuch einer deutschen Grammatik. Mit diesem aber setzt Trithemius den Christ Otfrieds von Weißenburg in merkwürdige Verbindung. Er kennt als erster die Handschrift, vielleicht noch in Weißenburg selbst, und bedauert nur, daß er das Deutsch Otfrieds nicht lesen könne, da es von dem seiner Zeit soweit abstehe wie Etruskisch vom Latein.[3]

Für die eigentlich historische Schriftstellerei Tritheims ist es

  1. [230] 36) Brief an Johann Gottfried, Pfarrer von Mannenthal in Ep. fam. II, 4 bei Freher II, 517, dazu ebd. 567. Man beachte, daß sich die zwei Bücher dieser [231] Briefe, das einzige, was von den 10 Briefbänden erhalten ist, die Trithemius nach seinem eigenen Zeugnis sammelte, ausschließlich auf die kritische Zeit von 1505–7 beziehen.
  2. [231] 37) Traube, O Roma nobilis i. d. Abh. d. bayr. Akad. I Cl. XIX Bd. II, 313–16. Nach Quellen ähnlicher Art wird man für Meginfried auch noch weiter zu suchen haben, denn daß Trithemius diesen – anders wie den Hunibald – nach gleichzeitigen Vorlagen gefälscht hat, bleibt auch Traube recht wahrscheinlich. Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die alten Alphabete, die Trithemius in der Polygraphie mitteilt, doch wohl von Hrabans Schrift De inventione linguarum angeregt sind. Sehr merkwürdig ist doch auch, daß in einer Reihe von Hss. der Annalen Lamberts von Hersfeld, die auf Abschriften aus Trithemius’ Bibliothek zurückgeführt werden kann, Lambert als abbas Hirsaugiensis bezeichnet gewesen zu sein scheint, s. Holder-Egger, Lamperti monachis Hersfeldensis Opp. (SS. rer. German.) 1894, p. LII u. LVII. – Dagegen warnt Traube mit Recht davor, daß man sich bei den Angaben des Kataloges durch stereotype Aufzählungen, wie die immer wiederkehrenden Epistulae ad diversos täuschen lasse. Das geschieht bis in die neueste Zeit, s. z. B. die Angaben über Vinzenz v. Beauvais i. d. Hist. littér. de la France XVIII, 463 und Werner Rolewinck, Laudes Westfaliae ed. Tross. Zur Kritik vgl. man die Zusetzung der Epigrammata bei Hraban, Widukind, Hrotsuita, der Epistolae ad diversos bei Regino im Catalogus luminarium Germaniae, wo der Catalogus scriptorum ecclesiasticorum noch nichts davon weiß. Gewirkt hat hier Wimpfelings Dedikationsschreiben: Testimonium praebent ornatissima vetustissimaque diversis in locis epigrammata, quae hodie extant, quae in Moguntiaco coenobiisque plurimis Rheni finitimis nos ipsi summa cum iocunditate vidimus et lectitavimus (Freher I, 409).
  3. [231] 38) S. dazu Raumer, Gesch. d. germ. Philologie 15 ff.