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kennen und verstehen zu lernen.[1] Vollends seine Schwaben hat er in alle Winkel ihres Wesens verfolgt, er weiß von ihrem frommen, zum Klosterleben neigenden Sinn so gut wie von ihrer Weltfröhlichkeit und ihrer wortreichen Rede, er bemerkt, daß sie mit den Schweizern sprachverwandt, aber dialektisch verschieden sind, daß die Männer dem Elsaß seine Arbeiter und die Frauen der halben Welt Dirnen und Nonnen stellen. –

Wo er dagegen zu umfassenderen Anschauungen durchzudringen sucht, erstickt er in der Fülle seiner Notizen. Es gelingt ihm ebensowenig, die Grenzen des neuen Deutschlands zu finden, das er aus Enea kennt, wie die Ansichten desselben von dem großen europäisch-asiatischen Zentralgebirge weiterzudenken. Er merkt, daß es mancherlei Orte namens Hall gibt, wo Salz gewonnen wird, aber er zieht es doch vor, Enea zu folgen, der den Namen von dem kleinasiatischen Halys abgeleitet hatte.[2] Und die fünf Namen, die er für Deutschland kennt, Alemannia, Teutonia, Germania, Franconia, Cymbria, haben ihm zu nichts weiter, als zu abenteuerlichen Etymologien verholfen. So ist ihm auch im geschichtlichen Teil die fabelhafteste Nachricht die liebste, sei es, daß er die aus der Kaiserchronik stammende Geschichte von den Kämpfen Julius Cäsars mit den Schwaben oder das Hirschauer Klosterhistörchen von der Abstammung Heinrichs III. von einem Grafen von Calw zu erzählen hat. Eine geordnete Geschichtserzählung ist überhaupt nicht seine Sache, von Julius Cäsar ist er mit einem Satze bei Karl dem Großen, unter dem, wie er meint, erst Deutschland völlig christlich geworden sei; auf Verbindung der einzelnen Nachrichten verzichtet er durchaus, jede Anekdote, die er kennt, bringt ihn zu einem Seitensprung.

Danach ist es begreiflich, daß nun der zweite Teil, der die große Stadtbeschreibung Ulms liefert, die Fähigkeiten Fabris, der nur einen kleinen Rahmen zu füllen vermochte, in erheblich besserem Lichte zeigt. Hier schafft er für Ulm, was Meisterlin für Nürnberg geplant hatte und erst Celtis ausgeführt hat. – Aber wir werden doch fragen müssen, woher Fabri die straffe Ordnung hatte, die ihn lehrte, zuerst von Namen und Ursprung der Stadt, ihrem Umfang, den verschiedenen Erweiterungen, dann von der sozialen Schichtung der Bevölkerung und schließlich von ihrer Verfassung zu sprechen. Es gab ein Schema dafür, das vielleicht bis auf die mittelalterliche Rhetorik zurückgeht,[3] aber Fabri hat es kaum gekannt, und auch die Stadtbeschreibungen Eneas mit ihren geistreichen, aber unsystematischen Einzelbeobachtungen haben nicht mehr als Anregungen bieten können.

  1. [230] 15) Evagatorium I, 71; III, 108,438, 443 f. Veesenmeyer 50,194. Goldast 13 ff.
  2. [230] 16) Evagatorium III, 459.
  3. [230] 17) S. die Beschreibung Iglaus aus dem Anfang des 15. Jh. in einer Candela rethorice (ed. Wattenbach in AÖG. XXX, 187 ff.) auf die Burdach (DLZ. XIX, 1869) aufmerksam gemacht hat.