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So wirkt der Humanismus in diesem Buche durch alle Fabeln hindurch in der Richtung zu neuen Zielen und neuen Anschauungen von dem, was wissenswert ist in der Geschichte. Er bewirkt auch, daß der Mönch nicht mittelalterlich bescheiden hinter seinem Werke zurücktritt, sondern als lebendige Persönlichkeit in Vorreden und eingestreuten Bemerkungen mit dem Leser verhandelt, und wenn er hierbei so wenig wie sonst in seinem Werke eine eigene Sprache zeigt, so ist es doch bedeutsam, daß er seine Worte Männern wie Otto von Freising entlehnt oder jenem Othlo von St. Emmeran, der schon im 11. Jahrhundert der Nachwelt etwas „de secreto conflictu curarum suarum“ überliefern zu müssen glaubte.

Nach der Vollendung der Augsburger Chronik hat Meisterlin das heimische Kloster verlassen und ein geistliches Vagantenleben geführt, für das wir in dieser Zeit kaum eine Parallele finden. Er begegnet uns in St. Justina in Padua, in St. Gallen, in Murbach, dann gar als Pfarrer im Würzburgischen und schließlich bei Nürnberg. Hier hat er fast 30 Jahre nach seinem Jugendwerke wieder eine Stadtchronik geschrieben, die Chronica Neronpergensium.

In diesen dreißig Jahren war der gewaltige Umschwung eingetreten, den das Erscheinen der Werke Enea Silvios bezeichnet. 1456 hatte Meisterlin nur seine Türkenrede vom Frankfurter Reichstag gekannt, er hatte ihr ein Lob der Geschichte entnommen, vielleicht auch einen Hinweis auf den „unverächtlichen Autor“ Otto von Freising und auf die wilde Tapferkeit der alten Deutschen. Jetzt kennt er die Österreichische und die Böhmische Geschichte, die Anekdotensammlung für Alfons von Neapel, die Europa und die Asia, und er steht nicht minder unter ihrem Einfluß wie seine Zeitgenossen. Auch die großen Werke Biondos haben seine Vorstellungen berichtigt, und so dürfen wir uns etwas Reiferes als die Augsburger Chronik erwarten.

In der Tat zeigt schon der Plan, den Meisterlin entwirft, einen bemerkenswerten Fortschritt: ein Doppelwerk soll entstehen, eine vetus Neronperga, die die Geschichte der Stadt, zunächst nur bis zum Ende der deutschen Kaiserzeit, dann bis zur Niederwerfung des Zunftaufruhrs von 1348 enthalten hätte, und eine Neronperga moderna, eine Stadtbeschreibung mit Abschnitten über die Lage der Stadt, ihre Gebäude, Regiment und Geschlechter, die Bewohner und ihre Sitten. Daraus ist nichts geworden, denn wieder drängt die Gründungsgeschichte, die hier gänzlich zu erfinden war, vor, daneben andere Fragen, die zu bemerkenswerter Diskussion mit allerlei Gegnern und zu immer erneuten und weithin führenden Nachforschungen Anlaß geben, und