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noch bevorstand, und Gossembrot macht, 59 Jahre alt, damit Ernst. Er legt Ämter und Würden nieder und zieht sich in das Kloster der Straßburger Johanniter am grünen Wöhrd zurück. –

Was diese Männer für die humanistische Geschichtschreibung bedeuten, werden wir noch sehen. Für die Propaganda des Humanismus aber sind andere Leute wichtiger geworden, die nicht von einer so oder so gedachten Verschmelzung der neuen und alten Bildung ausgingen, sondern mit dem fröhlichen Bewußtsein auftraten, daß sie das Alte bekämpfen müßten, wenn für das Neue Platz werden sollte. Das sind die humanistischen Vaganten, die „Poeten“, wie sie sich selbst nennen.

Sie haben viel von ihren mittelalterlichen Namensvettern: die Unstätheit ihres Lebens, teils weil sie das Gastrecht als die Erlaubnis betrachten, ihren Gastgebern Schnödigkeiten zu sagen, teils weil sie auch in fügsamer Umgebung sich bald unbefriedigt fühlen, die schlechten Manieren, auf die sie ebenso stolz sind, wie auf ihre abgerissene Gewandung, die gründlichste Verachtung alles schulmäßigen Wissens und aller schulmäßigen Form. Dabei ist ihr eigenes literarisches Gepäck gar leicht, aber sie wissen, daß sie in dem wenigen die Zukunft mit sich führen.

Der eigenartigste Vertreter dieser Zunft ist Peter Luder, im pfälzischen Kraichgau vielleicht um 1400 geboren.[1] Er ist ein echter Vagant, den sein beweglicher Geist bis nach Mazedonien, „dem Vaterlande Alexanders des Großen“, und Griechenland und fast durch ganz Italien getrieben hat. Ebenso ist er in den Wissenschaften von der Theologie über die freien Künste bis zur Medizin gelangt. Wenn er aber etwas von Herzen war, so war er ein poeta et historiographus. Freilich nicht in dem Sinne, daß er etwa tiefgründige historische Studien gemacht oder sich ein hohes Ziel gesteckt hätte, aber schon in seiner Antrittsrede[2], mit der er in Heidelberg 1456 den sich ihm widerwillig öffnenden Kreis der Universitätsprofessoren beglückte, weiß er über sein Vorbild, eine berühmte Abhandlung Brunis[3], hinaus viel zum Lobe der Geschichte zu sagen. Er hat von Petrarka gelernt, daß sie sowohl nütze als ergötze, jenes durch die moralischen Anweisungen, die sie in Beispielen so viel kürzer und packender biete, als die theoretischen Tugendlehren der Philosophie, dies durch Beschreibung von Ländern und Völkern, die sie uns leibhaftig vor Augen stelle.

Zwei Jahre später hat dann Luder selbst eine Probe seiner historischen Kunst geboten in der „Lobrede“ auf seinen Beschützer, den

  1. [229] 2) Entdeckt von Wattenbach, ZG Oberrheins XXII und XXIII; Ergänzungen ebenda XXVII, XXXIII, XXXVIII, XLV. Zs. d. Ferdinandeums 3. Folge. Heft 22.
  2. [229] 3) Gedruckt von Wattenbach l. c. XXII, 100 ff.
  3. [229] 4) Es ist der Tractatulus de studiis et literis ad Baptistam de Malatesta (Neudruck i. d. Sammlung selten gewordener pädag. Schriften ed. Israel Nr. 6).