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hier war das Deutschland der Gegenwart, seine Einheit beruht auf der Gleichheit der Kultur. Und wenn die Geschichtschreibung des deutschen Humanismus dann, ganz ähnlich wie später die deutsche Romantik, Deutschland vor allem als eine solche Kultureinheit empfunden hat, so hat dies Schriftchen dazu den Anstoß gegeben. –


Wir können den Fortschritt, den die Werke Eneas in der deutschen Geschichtschreibung bezeichnen, am leichtesten durch einen Vergleich mit denen seines Zeitgenossen Thomas Ebendorfer ermessen.[1] Ein Zufall hat den italienischen Humanisten und den österreichischen Theologen ein gutes Stück ihres Lebensweges nebeneinander zurücklegen lassen: am Basler Konzil zunächst und dann in Wien. Auch persönlich sind sie sich nahegetreten, zumal bei der Gesandtschaft König Friedrichs nach Italien 1451 und bei der Kaiserkrönung von 1452. Bei dieser standen sie beide im Gefolge. Der eine dachte daran, daß durch eine besondere Gnade Gottes sein Herr als erster Habsburger die Kaiserkrone erlange, und zwar rechtmäßig, nicht durch Gewalt wie ein Tyrann oder durch Schliche, der andere besah sich kritisch die angeblichen Krönungsinsignien Karls des Großen und meinte, sie möchten eher von Karl IV. herrühren.[2] – Ein Zufall ist es auch, daß Enea und Ebendorfer fast als Rivalen auf dem Gebiet der Geschichtschreibung erscheinen. Auch von Ebendorfer haben wir eine Relation vom Basler Konzil, von beiden eine Österreichische Geschichte. Beider Werke tragen ferner in gewissem Sinne Memoirencharakter.

Aber sonst ist alles Verschiedenheit. Ebendorfer ist nur 18 Jahre älter als Enea, aber es ist, als ob Generationen zwischen ihnen lägen. Ebendorfer steht ganz in der alten Kirche und in der alten Bildung. Er ist ein direkter Geistesverwandter Martins von Troppau. Wie dieser schreibt er seine Österreichische Geschichte als bequemes Kompendium, weil er über die alten Zeiten gar verschiedenes gelesen hat. Wie dieser ist er wehrlos gegen alle Fabeln der Vergangenheit, besonders wenn sie ihm helfen, seine Papst-, Kaiser- und Herzogsreihen lückenlos zu gestalten. So kommt es, daß er gerade die Teile der österreichischen „Urgeschichte“, gegen welche Enea seine vernichtende Kritik richtet, unbesehen aufnimmt. Daß er kirchlicher ist als Enea, zeigt seine Charakteristik Sigismunds ebenso wie die des Staufers Friedrichs II. Hier hat Enea, trotzdem er aus seiner Verdammung des Kirchenräubers kein Hehl macht, in bemerkenswerter Weise den genialen Herrscher gezeichnet, bei Ebendorfer erscheint er ganz als

  1. [229] 73) Auch diesen Vergleich hat bereits Voigt, Enea II, 346 mit aller Umsicht, allerdings in anderer Absicht und mit anderem Ergebnis wie ich, gezogen, obgleich er die Hauptwerke Ebendorfers noch in der Handschrift benutzen mußte. Jetzt hat Pribram in MIÖG. Ergänzungsband III, 38–222 die Kaiserchronik gewürdigt und teilweise ediert; eine Quellenuntersuchung der Papstchronik (mit den gleichen Ergebnissen) gibt Levinson in MIÖG. XX, 69–99. Zur Biographie Lorenz, G. Qn. I, 272 ff. und ADB. V, 526 ff.
  2. [229] 74) Pribram l. c. 154 ff. und Ilgen II, 81 ff.