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des Mittelalters üblich und möglich ist, gemessen werden darf. Auch wo Enea Vorlagen hat, wie für die ältere Geschichte Böhmens Dalimil und Pulkawa, bestimmen sie weder seine Auffassung noch seine Darstellung. Was er von den Einwanderungs- und Gründungssagen glauben soll, das richtet sich weniger nach der Vertrauenswürdigkeit der Quelle, als nach den allgemeinen historischen Vorstellungen, die er sich gebildet hat. Und da ist es wie ein Blick in eine neue Welt, wenn wir sehen, daß Enea zwar glauben will, daß Czech und seine einwandernden Genossen das Leben von Nomaden geführt und ein unbebautes Land betreten haben, nicht aber, daß sie sich von Eicheln genährt hätten, denn dieser Brauch sei schon nach der Sintflut abgekommen. Mit einem Male treten hier Zeiträume auseinander, die für alle früheren im Nebel der Sage beisammenlagen. Damit aber fallen auch die fabelhaften Herrscher- und Volksstammbäume, die bis zur Arche Noah hinaufführen; ihm genügt es, daß, wie Plato schreibt, „alle Könige von Knechten stammen, alle Knechte von Königen“. In die Přemyslidenreihe vermag er freilich ebensowenig Ordnung zu bringen, wie Johann von Marignola, aber wie ganz anders treten bei ihm Ottokar und Karl IV. aus der Schar der übrigen hervor als bei den Annalisten. Vielleicht ist es Enea gewesen, dem Kaiser Maximilian das Urteil über „Böhmens Vater und des heiligen römischen Reichs Erzstiefvater“ nachgesprochen hat, das die Nachwelt dann allzuwillig annahm, und der Ottokar, der „nach Kriegen gierig und großer Werke Vollender“ ist, dem „weder Mut zu hohen Dingen, noch staatsmännische Klugheit fehlt“, kehrt ebenso wie die herzlose Kunigunde, die ihn in den letzten Kampf stachelt, noch in Grillparzers großem Drama wieder.[1]

Nehmen wir dazu, daß die Einleitung eine Schilderung Böhmens und seiner Bewohner enthält, in der wir unter anderm den ersten Versuch einer geographischen Vorstellung von Landesgestalt und Flußsystem finden, so werden wir auch von diesem ersten Teil der Böhmischen Geschichte nicht zu gering denken. Aber für den Verfasser selbst ist er doch nur Einleitung zu der Geschichte der Hussitenzeit, die er selbst erlebt hat[2], und auch für uns ist es ungleich wichtiger zu wissen, wie ein Kardinal über die Ketzer dachte, als was ein Humanist vom böhmischen Mägdekrieg für überlieferungswürdig hielt. Daß es nicht mehr der weltliche Enea der Wiener Kanzlei ist, dem wir hier begegnen werden, läßt schon die Widmung an Alfons von Neapel erkennen, die nicht ohne Zwang das Humanistenlob der Geschichte als der Erweckerin vom Tode der Vergessenheit mit christlichen Gedanken über Lohn und Strafe im Jenseits zu vereinigen sucht.[3] Um so bedeutsamer

  1. [227] 51) Cap. 32 über Karl IV.: Claras profecto imperator, nisi Bohemii regni magis quam Romani imperii quaesivisset [emolumenta]. Die cap. 27 geschilderte Szene auf der Insel Kaumberg mit der Belehnung Ottokars im Zelte, die den Höhepunkt von Grillparzers großartigem drittem Akt bildet, scheint in der Tat, wie Palacky, Würdigung der alten böhmischen Geschichtschreiber 1869 S. 240 bemerkt, bei Enea zuerst zu stehen. Die Strafrede der Königin steht auch in der Steirischen Reimchronik, doch ist der Inhalt charakteristisch verschieden. Enea beruft sich selbst auf „steirische Tradition“, aber schwerlich schriftliche. Eine Anekdote zur Marchfeldschlacht steht auch in den Commentarii in Antonium Panormitam III, 45 (Opp. 490).
  2. [227] 52) Hist. Bohemica, Praefatio: In qua [historia] etsi vetera digna sunt memoria, illustriora tamen nova existimo, quae cum certa, tum admirabilia sunt. – Ibid. cap. 35: Sub hoc rege [sc. Wenceslao] nostra demum memoria, . . . perfida Hussitarum insania ortum habuit, cuius et originem et progressum hoc loco persequi animus est . . .
  3. [227] 53) Der Vergleich mit der ersten Vorrede zur Geschichte Friedrichs III. (Ilgen S. 3–5) ist lehrreich.