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Aussicht auf Fürstengunst scharfsichtig machten. Er kämpft weder für einen neuen Staat, noch für eine neue Kirche, nur gegen das Alte. Erst bei Erasmus und Hutten haben seine Gedanken neue Belebung und Vertiefung gefunden. –

Stellen wir zu diesen Hauptwerken der humanistischen Geschichtschreibung in Italien noch Kleinigkeiten, wie Beccadellis Anekdotensammlung über Alfonso von Neapel, Poggios Brief über den Tod des Hieronymus von Prag, so haben wir die Schriften, aus denen lernbegierige Schüler andrer Nationen etwa um 1450 die neue Geschichtsauffassung und -darstellung kennen lernen konnten. Solcher Schüler nun gab es um diese Zeit auch aus deutschen Landen genug. Aber wenn wir die Handschriften ansehen, die sie nach Deutschland mitbrachten, so begegnen uns doch viel häufiger als diese historischen Werke die Prunkreden, die Anweisungen zur Redekunst, die Novellen und Invektiven, vor allem die Briefe der Italiener. Und man darf zweifeln, ob die deutsche Geschichtschreibung so bald in die Bahnen des Humanismus gelangt wäre, wenn nicht ein Italiener in Deutschland selbst sie ihr gewiesen hätte. Das ist Enea Silvio de’Piccolomini.[1]

Über Enea Silvio hat Jakob Burckhardt das treffendste Wort gesprochen:[2] er rechnet ihn zu den Menschen, die wesentlich Spiegel dessen sind, was sie umgibt. Das gilt für den moralischen Charakter Eneas. Will man den geistigen erfassen, so wird man hinzufügen müssen, daß dieser Geist seine Eindrücke mit der Lebenswahrheit eigener Erlebnisse wiederspiegelt. Er hört in den Gesprächen der österreichischen Kanzleigenossen eine Geschichte von der Liebelei des Kanzlers Kaspar Schlick mit einer schönen Saneserin und schafft daraus die klassische Empfindsamkeitsnovelle des 15. Jahrhunderts; er sieht, wie der zehnjährige Ladislaus, der künftige König von Böhmen und Ungarn, am Hofe erzogen wird, und schreibt ein Büchlein über Fürstenerziehung, das noch für Kaiser Maximilian Bedeutung behalten sollte. Noch mehr zeigt sich diese Fähigkeit Eneas, sich in einen fremden Stoff zu vertiefen, in seinen historischen Werken. Er schreibt die erste und einzige humanistische Begründung des Imperialismus[3], nicht durch den Anblick eines kaiserlich denkenden Herrschers angeregt, wie Dante, Engelbert von Admont, Marsilius von Padua, sondern aus einer Erwägung dessen, was sein könnte, wenn Papsttum und Kaisertum die Bahnen beschreiten, die ihnen die Beendigung des Konzils- und Neutralitätsstreits eröffnet. Als „Anwalt kurialer Mißbräuche“ gibt er den Deutschen ihre „Germania“, man darf dem Büchlein

  1. [227] 44) Voigts große Biographie steht noch heute nach 50 Jahren in allem Wesentlichen aufrecht (im einzelnen muß man natürlich Korrekturen, wie sie Pastor und vielfach Gaspary bieten, berücksichtigen), insbesondere hat er für die Würdigung Eneas als Geschichtschreiber bereits die Bahnen gewiesen, von denen ein Nachfolger nicht ohne Schaden abweicht. Gute Einzelbemerkungen bei Ilgen vor seiner Übersetzung der Geschichte Friedrichs III. (Geschichtschreiber d. dtsch. Vorzeit, 15. Jh., 2. Bd.)
  2. [227] 45) Kultur der Renaissance II, 53.
  3. [227] 46) S. Voigt, Enea I, 352 und Meusel, Enea Silvio als Publizist. Die erste, bei Meusel und Voigt nicht erwähnte Ausgabe des Traktats erschien 1535 in Mainz. Der Herausgeber ist der bekannte Friedrich Nausea. Er erzählt in der interessanten Vorrede, wie er das Buch bei einem Wiener Bürger gefunden und nach der Handschrift emendiert und mit Kapiteleinteilung herausgegeben habe. Eine weitere Ausgabe veranstaltet 1559 Johann Herold in Basel mit anderen staatsrechtlichen Schriften (Waitz in der Abh. der Göttinger Gesellschaft der Wissensch. XIV, 36).