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machte, seine Bürger von selbst zu der Frage treiben mußte, ob es denn kein Gesetz in dieser Erscheinungen Flucht gebe. Die Florentiner von 1420 konnten so wenig wie die andern Bewohner der ewig zuckenden Staatengebilde Italiens den Staat im Sinne des Mittelalters für etwas Ewiges und göttlich Begründetes halten.

Aber auch die Villani, die doch den Dingen mit so weitem Blicke und regem Verstande zuschauen, kommen nicht über das Beklagen der inconstanza der Florentiner hinaus; wenn sie besonderen Eindruck machen wollen, rufen sie als Zeugen dafür noch Dante und Michael Scotus, den englischen Hofastrologen Kaiser Friedrichs II., auf. Denn eine Erklärung der großen Veränderungen im Leben der Völker und Staaten bietet höchstens die Astrologie[1], und diese Erklärung ist ebenso spirituell wie die theologische. Daß man weiter kommt, den Staat als ein Kunstwerk empfindet, wie Jakob Burckhardt schön und glücklich gesagt hat, das hat die Wiederbelebung des Altertums oder der Humanismus gemacht, und es ist kein Zufall, daß Bruni zugleich der Übersetzer der Staatslehre des Aristoteles ist. –

Brunis Geschichtswerk enthält Gedanken, die über die Stadtgeschichte hinausreichen; vielleicht ist der wichtigste der vom Verfall des Römerreichs, der Declinatio imperii. Der Begriff fand sich schon bei den Männern, welche den Verfall und seinen sichtbarsten Ausdruck; die Einnahme Roms durch Alarich 410, erlebt hatten, bei Augustin und Orosius. Aber diese sahen gerade darin die Aufgabe ihrer Geschichtswerke, zu erweisen, daß dies nichts Ungeheures, vor allem, daß hier kein Ende sei. Und das stand für die Folgezeit ganz fest, da Hieronymus das römische Reich als das letzte vor der Auferstehung erklärt hatte, das notwendig fortleben mußte bis ans Ende aller Zeiten.[2]

Daher der im Mittelalter so eifrig gehegte Begriff der translatio imperii. – Aber wenn das Reich nun nicht fortgelebt hatte, wenn es nicht übertragen und vor Karl dem Großen sicherlich unterbrochen worden war, wie Bruni aussprach? Dann mußte wohl der Niedergang des Reichs Epoche machen, so gut wie es sein Aufgang gemacht hatte. Es war dann möglich, diesen Teil der Geschichte aus dem mittelalterlichen Chronikschema herauszulösen und das hat – trotz innerlicher Verschiedenheit viel mehr, als man bisher annahm, von Bruni beeinflußt – Flavio Biondo in seinen Decades historiarum ab inclinatione Romani imperii getan.[3]

Ob freilich Bruni den ersten Anstoß zu dem Werke gegeben hat, ist fraglich. Der scheinbare Anlaß ist ein anderer, man darf sagen,

  1. [225] 20) S. die Erörterungen über die astrologischen Spekulationen Giovanni Villanis bei Bezold, Astrologische Geschichtskonstruktion im MA. in DZG. VIII, 45.
  2. [225] 21) Bernheim in DZG. I, 61 ff. und Lehrbuch der hist. Methode5 74 f.
  3. [225] 22) Über Ausgaben usw. s. die tüchtige Arbeit von A. Masius, Flavio Biondo, s. Leben u. s. Werke. Diss. Lpzg, 1879; dazu eine (mechanische und unzuverlässige) Quellenuntersuchung von P. Buchholz, Die Quellen der Historiarum Decades des Flavius Blondus. Diss. Leipzig 1881. Zur Würdigung Voigt II3, 85 ff.