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schon anders: Florenz besitzt eine Verfassung, die aus zahlreichen Revolutionen zu einer unendlich kunstvollen Bindung der einzelnen Gewalten im Staate gekommen ist. Es gilt zu zeigen, daß alle diese einzelnen auch an ihr mitgearbeitet haben. Deshalb macht Bruni die erste Verfassung von 1250 entgegen der Überlieferung, die ihm vorlag, und entgegen der historischen Wahrheit zu einem gemeinsamen Werk der Guelfen und Ghibellinen, er gibt zum Jahre 1260 der Volksherrschaft das Zeugnis, sie sei glorreich und nur um ihrer Schroffheit willen zu tadeln gewesen[1], betont aber bei der Rückberufung des Adels im Jahre 1266, damit sei dem Staate die größte Zier zurückgewonnen worden. Und als er nun an das Ende des 13. Jahrhunderts mit der Einsetzung der priori der Zünfte, des gonfaloniere della giustizia und der ordinamenta iustitiae kommt, da holt er weit aus, um die Entstehung dieser Ordnungen aus ihren ersten Gründen begreiflich zu machen,[2] denn „die Geschichte hat gleichsam zwei Glieder, die Geschehnisse außen und im Innern, und es ist wahrlich nicht weniger wissenswert, wie es daheim steht, als was für Kriege geführt worden sind“.

Mögen diese verfassungsgeschichtlichen Erörterungen nun auch trotz solcher Worte mehr, als uns lieb ist, zwischen der beibehaltenen annalistischen Aufzählung der kleinen und großen Kriegsereignisse verschwinden und gegen die Zeit des Autors selbst immer seltener werden, ihr Zusammenhang ist nicht minder klar als die Absicht Brunis; sie heben sein Buch über die Chronik hinaus und machen es zur ersten humanistischen Stadtgeschichte Italiens.

Was Bruni dem Geschichtswerk nicht anvertrauen wollte oder konnte, hat er in einem eigenen kleinen Traktat geschildert.[3] Er ist bezeichnenderweise griechisch geschrieben: περι της των Φλωρεντινων πολιτειας. Das erste Buch, das nicht nach mittelalterlicher Weise einen Idealstaat schildert, sondern die aufbauenden Elemente eines wirklichen Staatswesens zeigt. Mit der Florentiner Geschichte zusammengehalten weist es den Weg, der zu Macchiavelli führt; in der Florentiner Geschichtschreibung ist Bruni sein wichtigster und, soweit ich sehe, sein einziger Vorgänger.[4]

Wir dürfen vielleicht hier von einem kleinen Winkel aus einen Blick auf die Frage werfen, die heute im Mittelpunkt der Erörterung über die Renaissance steht.[5] Ist diese nur eine Fortsetzung der im Mittelalter schon lebenden Richtungen oder ist sie ein „rinascimento“, eine Wiederbelebung der Antike? Es ist sicher, daß ein Staatswesen, das von 1250 an fast unaufhörliche Revolutionen durchmachte,

  1. [223] 15) Nulla alia re quam nimia ferocia culpatus. Das geht stillschweigend auf Villani VI, 65.
  2. [223] 16) Ich setze die Stelle wegen ihrer Wichtigkeit her: Domi quoque eodem anno (1289) res innovatae ac vexillifer iustitiae tunc prinum creari coeptus, qua de re altius ordientes pro cognitione rei pauca superius repetamus. Nam cum duae sint historiae partes et quasi membra, foris gesta et domi, non minoris [224] sane putandum fuerit domesticos status quam externa bella cognoscere. – Florentiae igitur admodum vetusta atque, ut ita dixerim, primaeva videtur nobilitatem inter plebemque contentio. Fuit haec eadem (credo) aliis civitatibus, sed haec nescio quomodo robustiores vigentioresque familiarium stirpes tanquam fecundissimo in agro satae altius increverunt. Et plebs animis erecta potentioribusque infensa id unum habuit concordiae vinculum, nobilitatis metum. Cum enim inferioris potentiae homines magnitudini illorum pares esse non possent ac saepe iniuriae contumeliaeque imbecillioribus inferrentur, unica prospecta est resistendi via, si populus una sentiret, neminis iniuriam pateretur, privatim inflictas contumelias publice vindicaret. Studia reipublicae capessendae hinc nimirum sun populo coorta: hinc nobilitatis depressio. Ita demum enim populus se salvum esse posse existimavit, si ipse rempublicam gubernaret, ne nobilitas supra potentiam propriam reipublicae quoque abuteretur potentia, vel ad inferendas clades vel ad inflictus, quominus ulcisceretur, prohibendum. Hoc certamen diu incerto exitu conflictavit civitatem, utque est humanarum vicissitudo rerum, hi modo, illi quandoque praevalebant. Nonnumquam etiam mixti ex nobilitate et plebe magistratus sumebantur usque ad Priores artium. Priores maxime gubernandi genus populare fuit neque tamen ab initio merum. Lex enim inertes tantum repellebat, nobilem vero non inertem esse non vetabat; una fere simul cum prioribus ad tutandum reipublicae statum artium signa conventusque sunt restituta, quo armati cives, cum opus foret, concurrerent ac praesentem civitatis statum, si res exigeret, tutarentur. Iure autem dicendo in civitate duo praeerant magistratus, alter cum potestate legitima ad causas et iudicia, alter populi defensor. Quis vero contingebat maleficia per nobilitatem committi, ad quorum punitionem magistratus accedere non audebat, quoniam stipati catervis suorum nobiles ab ipso quoque magistratu formidabantur, et vexati pulsatique apparitores frequenter redibant sicque iustitia impediebatur, ad eam rem tollendam corrigendamque vexilliferum iustitiae creare placuit. Man nehme, um den Fortschritt zu sehen, dazu, was Villani VII, 78 und VIII, 1 über diese Dinge sagt.
  3. [224] 17) Griechisch mit deutscher Übersetzung aus einer Viktoriushandschrift der Münchner Staatsbibliothek hrsg. von C. F. Neumann 1822.
  4. [224] 18) Ich weiche hier von dem Urteil von Gervinus (Histor. Schriften I, 57 ff.) und auch von dem des Altmeisters Florentinischer Geschichtschreibung Pasquale Villari ab, der in seinem Macchiavelli (deutsche Ausgabe von Heusler und Mangold) III, 180 ff. Bruni ziemlich tief stellt. Aber man wird schon aus dem im Text Angeführten ersehen, daß der Vorwurf, den Villari, Macchiavelli folgend, Bruni macht, er vernachlässige die innere Geschichte, unbegründet ist. (S. auch Gaspary l. c. II, 126.) Sodann aber scheint mir Bruni, weit mehr als Villari zugibt, Quelle oder doch Anregung für Macchiavelli zu sein, nicht nur für den Irrtum bei dem Jahre 1250 (Villari l. c. 206), sondern auch für eine Menge seiner wichtigen Betrachtungen und Auffassungen, so über die Kolonien, über Theoderich als liberator Italiae, über die Herleitung der Florentiner Parteiungen aus der Reichsgeschichte, über den Beginn der wahren Demokratie, über den Niedergang der Kommunen seit dem Ausscheiden des Adels, über den Zusammenhang zwischen Heeresverfassung und Regierungsform (dazu s. den Schluß von Brunis πολιτεια), u. v. a. Die Sache verdiente jedenfalls noch eine besondere Prüfung.
  5. [225] 19) S. W. Goetz, Mittelalter u. Renaissance (HZ. XCVIII, 30 ff.).