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Klassikern, aus Horaz, Vergil und Boethius, Farbe geholt hat, die Karl selbst dann in der Vorrede des von ihm beabsichtigten böhmischen Landrechts staatsmännisch ausgesponnen hatte[1], auf Grund reiferer Kenntnis des Altertums zu beleben! Marignola bleibt weit hinter Cosmas zurück und auch seine geographischen Kenntnisse haben nur zu einer höchst fragwürdigen kurzen Descriptio terrae Boemorum geführt. Mag man auch zweifeln, ob die sonderbare Einteilung in die drei Bücher Thearcos, Monarcos, Hierarcos nicht vielleicht auf Rechnung des kaiserlichen Auftraggebers zu setzen sei, so bleibt doch Marignola ein Autor, der auch nicht entfernt an eine Bibelstelle, sei es durch eine seiner beliebten Namenserklärungen, sei es durch einen Vergleich, geraten darf, ohne eine lange Erläuterung über dieselbe zu geben, und dem der Versuch, die Ergebnisse seiner Orientreise mit dem überlieferten Weltbild zu vereinigen, sein armes Hirn gänzlich verwirrt hat.

So ist denn das Interessanteste an dem Buch der ihm vorgesetzte Brief des Kaisers[2], aus dem wir Karls Absichten bei dem Auftrag ersehen haben, wie Karl dann auch selbst mit seinem Versuch einer Selbstbiographie der interessanteste Geschichtschreiber aus dieser ersten humanistisch berührten Periode in Deutschland geblieben ist.

Auch die Selbstbiographie ist freilich in der Form[3] – soweit die Überlieferung hier ein Urteil gestattet – so unhumanistisch wie Karl selbst. Karl hätte das Werk in seiner ursprünglichen Gestalt, ähnlich wie Ulman Stromer seine Denkwürdigkeiten, „Püchel von meim Geschlecht und Abenteuer“ überschreiben können. Nur daß die Abenteuer nicht bloß die äußerlichen eines überall herumgeworfenen Kriegsmannes, sondern auch die innerlichen eines ernst ringenden Menschen sind, der sich aus der Abhängigkeit von einem väterlichen Don Quichote und aus den Einflüssen einer sittenlosen Umgebung zum Staatsmann herausarbeitet. Daß er uns diese seine Seelenkämpfe nicht verschweigt, sondern sie sogar mit Angabe des Tages seiner seelischen Krisis niederschreibt, das erinnert nicht bloß an die Mystiker, sondern auch an Augustin und an Petrarka selbst. Noch mehr, daß nun nach der Meinung des kaiserlichen Autors dies Zeugnis seiner eigenen Entwicklung nicht verschlossen bleiben, sondern der Geschichtschreibung seines Landes und damit der Belehrung der Nachkommen dienen soll. Es ist nicht seine Schuld, wenn die Männer, denen er es zu diesem Zweck in die Hände gab, ebensowenig zu einer Geschichtschreibung

  1. [222] 6) Lindner, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Habsburger und Luxemburger II, 19, Friedjung 91 f.
  2. [222] 7) Ich kann hier meine Bedenken über den Textzustand des Briefes nicht unterdrücken. Auch abgesehen von offenbar notwendigen Textbesserungen (z. B. S. 492, Z. 3 maiorum statt morum) ist der Brief, wie er vorliegt, fast unverständlich und sieht sehr darnach aus, als ob eine ursprünglich ganz einfache Vorlage mit geistlicher Weisheit „floriert“ worden wäre. Schon die Stelle: ut ait Salustius et beatus Augustinus de civitate dei sic dicens: Nolite putare parentes nostros rem publicam armis tantum ex parva magnam fecisse ist durch ihr doppeltes, allerdings richtiges (Sallust, Cat. 52, 19 und Aug. De civitate dei V, 12) Zitat verdächtig. Aber die ganze Stelle Voluit enim (Sp. 1, [223] Z. 11 v. u.) bis operarius viciorum (Sp. 2, Z. 17 v. o.) ist ein Einschub geistlicher Gelehrsamkeit, der den richtigen Zusammenhang unheilbar stört. Wer den Brief so ausgeziert hat, ist fraglich. Vielleicht Johann von Neumarkt, der aber doch verständlicher schreibt, oder, was mir am wahrscheinlichsten ist, Johann von Marignola selbst, dessen Neigung zum Schwulst auch die bei Palacky, Würdigung der alten böhmischen Geschichtschreiber (1869) 166 abgedruckte Briefstelle gut erkennen läßt. Dann ist natürlich auch fraglich, ob die Stelle interpositis quibusdam utilibus, auf die Friedjung 221 und Bachmann I, 830 Wert legen, nicht eher dem Interpolator angehört und eine gar nicht überflüssige Rechtfertigung der Einschiebsel aus seinem Reisebericht bilden soll.
  3. [223] 8) Ich lege die Ergebnisse von Loserth in AÖG. LIII, 3–38 zugrunde, nehme aber mit Löhr, Über die Selbstbiographie Kaiser Karls IV (Diss. Rostock 1886) an, daß auch Prolog und Genealogie des Anfangs ursprünglich sind, die letztere schon deshalb, weil bei Karl IV. und Philipp VI. von Frankreich Charakteristiken stehen, die nur Karl selbst gemacht haben kann.