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Petrarka ist auch insofern der erste Humanist, als er der erste italienische Patriot ist. Denn der Humanismus ist seiner Entstehung und Entfaltung nach eine national-italienische Erscheinung. Nur hier in Italien haben seine Äußerungen etwas von dem beglückenden Zauber überströmender Natürlichkeit und eingeborener Jugendkraft, den wir bei uns etwa erst in der Sturm- und Drangperiode empfinden. Bei den andern Nationen, zumal in Deutschland, wird er sogleich Mummerei.

Aber er dringt alsbald zu den andern, denn er ist in seinem Wesen ebenso bekehrungssüchtig wie national. Wiederum ist es Petrarka, der die Bekehrung beginnt, in England, in Frankreich, in Deutschland. Und hier knüpfen sich an ihn in dem böhmischen Königreich Karls IV. die ersten Versuche zur Schaffung einer humanistischen Geschichtschreibung.[1]


Es wird immer merkwürdig bleiben, daß Karl IV. den Plan zu einer offiziellen Landesgeschichte faßt, aus der „Hoch und Gering an den Beispielen der Väter Tugend lernen könne“, und die „aus den alten Chroniken in lichtvollerer Weise und ohne allen Wortschwall in einfachem Latein“ geschrieben werden sollte. Also eine Arbeit, die in ganz anderer Weise offiziell war, als etwa Ekkehards vierte Bearbeitung seiner Weltchronik oder die Gesta Friderici von Otto von Freising und Rahewin, und die zugleich in bewußtem Gegensatz zu den bisherigen geschichtlichen Aufzeichnungen stehen sollte. Also auch zu der Reimchronik des Dalimil, der doch schon eine Landesgeschichte geschrieben hatte, in der er vom Standpunkt der ritterlichen[2] und der nationalczechischen Kultur Sage und Geschichte zu einem nicht kunstlosen Ganzen vereinigte. Aber das Ergebnis der kaiserlichen Anregung, die Böhmische Chronik des florentiner Minoriten Johannas von Marignola, entspricht gar wenig diesen Absichten.[3] Daß Karl einen Ausländer wählte, zeigt schon, daß er nicht hoffte, am eigenen Hofe, wo doch begeisterte Verehrer Petrarkas lebten, einen geeigneten Mann für diese Aufgabe zu finden. Marignola aber stammte aus der Stadt Dantes und Petrarkas, er war soeben von einer Missionsreise zurückgekehrt, die ihn bis nach China geführt hatte, und auf der er fremde Sitten und Länder mit offenem Auge beobachtet hatte. – Was er aber für Karl IV. geliefert hat, ist eine Mönchsarbeit schlimmster Art. Welch eine Gelegenheit wäre hier für einen Albertino Mussato geboten gewesen, die lieblichen Sagen von den Anfängen der Kultur, für die sich schon der alte Cosmas von Prag aus seinen in Lüttich studierten

  1. [222] 3) Hierüber haben gehandelt Friedjung, Kaiser Karl IV. und sein Anteil am geistigen Leben seiner Zeit, Bachmann, Geschichte Böhmens I, 808–35, und besonders Burdach, Vom Mittelalter zur Reformation, auch Wolkan, Gesch. d. dtn. Lit. in Böhmen 95 ff.
  2. [222] 4) Daß Dalimil selbst dem Ritterstande angehört habe, bezweifelt Bachmann im AÖG. XCI, 116 ff.
  3. [222] 5) Gedruckt Fontes rerum Bohemicarum III.