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ja die Minderbrüder selbst durch ihre Missionsfahrten so bedeutsam vermehrten,[1] die griechische und römische Raum für Literaturgeschichte und Literaturproben bieten muß, folgt in einem 15. Buch ein „geschichtlicher“ Stoff, den er chronologisch nicht einordnen kann, der Roman von Barlaam und Josaphat! Was sonst von Legenden und Sagen in diesem phantastischsten aller Jahrhunderte umlief, das hat – soweit es nicht etwa bloß in der Volkssprache verzeichnet war – in dieser ungeheuren Kompilation seinen Platz und damit seine geschichtliche Beglaubigung für die Zeitgenossen gefunden.[2] Diese chronologische Festlegung des geschichtlichen Stoffes war ja auch der Zweck des einfachen deutschen Franziskaners, der auf allgemeines Bitten die „Blütenlese der Zeiten“ veröffentlichte, die er sich für seine Predigten zusammengezimmert hatte, da es so großes Aufsehen erregte, daß er auf der Kanzel bei jedem Heiligen genau zu sagen wußte, wann er gestorben sei.[3]

Martin von Troppau hat mit seiner Nebeneinanderstellung der Papst- und Kaiserreihen einer ganzen Gattung von Chroniken den Namen gegeben. Die Martinen sind um soviel einflußreicher geworden als der Vinzenz, als sie leichter zugänglich und übersichtlich waren. Durch sie vor allem ist die geschichtliche Auffassung bis zum Humanismus bestimmt worden. Es ist also wichtig zu erkennen, in welchem Sinne der Autor schrieb. Man hat ihn päpstlich genannt. Dann ist es merkwürdig, daß er nicht nur die Sage von der Päpstin Johanna bringt, sondern auch Päpsten wie Johann XII. keine Übeltat erläßt, und daß er für die Kaiserkrönung Karls des Großen, an die sich die so wichtige Frage der translatio imperiiknüpft, nur die Worte hat: ob rogatum Romanorum factus est imperator, während doch schon Ekkehard die Krönung durch den Papst hervorhebt. – Man hat es dem Martin angerechnet, daß er zuerst die Einsetzung des Kurfürstenkollegs unter Gregor V. berichtet und so der Urheber einer verhängnisvollen Theorie geworden ist. Aber die Fabel steht bei ihm nicht in der Papstreihe, sondern unter dem gleichzeitigen Kaiser Otto III. und der Grund der Einreihung ist deutlich ausgesprochen.[4]

Päpstlich ist also Martins Geschichtsauffassung kaum,[5] aber sie ist römisch und scholastisch, wie keine vor ihr. Römisch insofern, als Rom für diesen Dominikaner das wahre Haupt der Welt ist; von Rom aus schaut er über die Länder. Deshalb ist sein Werk nicht wie das des Vinzenz eine gleichmäßige Darstellung der sechs Weltalter oder der vier Weltreiche, sondern vor den – auch durch ein Quellenverzeichnis noch betonten – eigentlichen Anfang mit Christi

  1. [220] 3) S. Lorenz, Geschichtsquellen I, 311; II, 166. Ruge, Zeitalter d. Entdeckungen 71 ff.
  2. [220] 4) Lorenz I, 7.
  3. [220] 5) Flores temporum ed. Holder-Egger M. G. SS. XXIV, 226; von Lorenz I, 64 nicht ganz richtig wiedergegeben.
  4. [220] 6) Ausgabe von Weiland M. G. SS. XXII, 466: Et licet isti tres Ottones per successionem generis regnaverint, post tamen institutum fuit, ut per officiales imperii imperator eligeretur.
  5. [220] 7) S. auch, was Weiland vor seiner Ausgabe S. 394 über die Benutzung durch Occam sagt.