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I.
Das Alte und die neuen Probleme.

Wenn man die Schriften der Humanisten danach befragt, wer denn diesen Neuerern als der eigentliche Vertreter alles Alten, Abgelebten in Wissenschaft und Bildung erscheint, so findet man auf tausend Blättern die Antwort: der Bettelmönch. Celtes und Hutten, Mutian und Erasmus haben die „stinkenden Kutten“ der einfältigen Franziskaner und der hochmütigen Dominikaner zum Ziel ihrer derbsten Angriffe gemacht. – Aber man bekämpft selten so eifrig, was nur verächtlich ist. Die Humanisten fühlen recht gut, daß hinter diesen als so armselig geschilderten Gesellen ein ganzes System steht, in dem der Geist des Mittelalters seine Vollendung gefunden hat. So ist es in Theologie, Philosophie und Pädagogik, nicht anders auf dem Gebiet der Geschichte. Hier sind es die Dominikaner, die im 13. Jahrhundert in dem Geschichtspiegel des Vinzenz von Beauvais die umfassendste Sammlung geschichtlichen Wissens, in der Papst- und Kaiserchronik des Martin von Troppau das bequemste Geschichtslehrbuch geschaffen haben.[1]

Stellen wir diese Werke in den Zusammenhang der mittelalterlichen Geschichtschreibung, wo sie an Ekkehard, Sigebert von Gembloux, Otto von Freising ihre Vorläufer haben, so finden wir sie – zumal den Martinus – mit Wattenbach jeden Tadels wert. Anders erscheinen sie im Umkreis der Bestrebungen beider Orden überhaupt betrachtet. Wie das Auftreten der Minoriten den letzten völlig gelungenen Versuch bezeichnet, die Welt in die Kirche hineinzuzwingen, so sollen diese Geschichtswerke den ganzen seit den Weltchroniken des 12. Jahrhunderts so ungeheuer angewachsenen Stoff ordnen und zu einem lückenlosen Bau gestalten.

Das ist die Arbeit, die Vinzenz von Beauvais leisten will.[2] Worauf es ihm ankommt, zeigt vielleicht ein kleiner Umstand am besten. Nachdem er in 14 Büchern eine Weltgeschichte bis zur Völkerwanderung gegeben hat, in der z. B. die biblische Geschichte den Rahmen für die Einfügung des geographischen Wissens vom Morgenlande, das


  1. [220] 1) Vgl. im allgemeinen Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter bis z. Mitte des 13. Jh. II6, 459 ff. und O. Lorenz, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter seit der Mitte des 13. Jh., I3 Einleitung. – Ich habe im Text auf den ersten Seiten einige Male irrtümlich von minoritischer Geschichtschreibung statt von der der Mendikanten gesprochen.
  2. [220] 2) S. Histoire littéraire de la France XVIII, 449 ff.