Seite:De Flüssige Kristalle Lehmann 23.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


     Schließlich führten weitere Untersuchungen bei Schmierseifekristallen, speziell bei Ammoniumoleathydrat[1] zu dem unanfechtbaren Ergebnis, daß energisch gestaltend wirkende molekulare Richtkräfte auch dann vorhanden sein können, wenn sicher die Elastizitätsgrenze Null ist, daß es zweifellos auch flüssige Kristalle gibt, in volligem Widerspruch mit den damals gültigen, aber noch bis in die neueste Zeit verteidigten[2] Ansichten. Das Ergebnis war nämlich, daß eine mikroskopisch kleine Menge der genannten Substanz, gleichgültig, welches ihre anfängliche Form sein mag, also auch dann, wenn dieselbe eine Kugel ist, freischwebend sich selbst überlassen, falls sie homogen bleibt, durch Wirkung der molekularen Richtkraft die Form eines schlanken tetragonalen Oktaeders mit gerundeten Kanten und stark vorspringenden Ecken (Fig. 26) annimmt.

Fig. 26., Fig. 27.

     Zerschneidet oder zerreißt man einen solchen schleimigflüssigen Kristall etwa so, daß man die Flüssigkeit, in welcher er schwebt, gegen ein Hindernis (in Fig. 27 schwarz gezeichnet) strömen läßt, so reckt sich alsbald jedes der entstandenen Stücke (ganz ebenso wie ein in verdünntem Spiritus schwebender verzerrter Öltropfen zur Kugel) zu seiner normalen Oktaederform aus. Kommen zwei flüssige Kriställchen in Berührung, so fließen sie zu einem einzigen von normaler Form zusammen (Fig. 28). Wäre eine Elastizitätsgrenze vorhanden, so könnte wohl die Umbildung eines Oktaeders zur Kugel durch die elastische Kraft gehindert werden;


  1. O. Lehmann, Z. physik. Chem. 18 (1895), 91.
  2. P. v. Groth, Die Naturwissenschaften, 1919, Heft 36, S. 648.