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Ein Wurm, der getreten wird, krümmt sich. Der Reiz pflanzt sich fort, weckt unangenehme Empfindungen und Erinnerungen, sowie den Willen, die Schädigung zu vermeiden. „Mens agitat molem“, sagt man, „Die Seele setzt die Körpermasse in Bewegung.“ Ein toter, seelenloser Wurm krümmt sich nicht.

     Nun aber lehrt die Physik, Bewegung kann nur entstehen durch Wirkung einer Kraft, und das Maß der Kraft ist das Produkt von Masse des bewegenden Körpers mit seiner Verzögerung (Gesetz der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung). Die gewichtslose Seele hat keine Masse, sie kann also direkt nicht bewegen; nur die Kräfte der Atome, welche die wägbare Substanz des Leibes zusammensetzen, können für Erzeugung der Muskelkraft in Betracht kommen.

     Auch von uns selbst heißt es: „Pulvis et umbra sumus.“ Wir bestehen außer der Seele aus denselben Atomen, welche wir als leblose Nahrung aufnehmen, und alle Arbeit, die wir leisten, entstammt der verlorenen chemischen Energie dieser Atome. Ohne Nahrung kein Leben!

     Welches sind nun aber die wirkenden Atomkräfte, welches die Gesetze, von welchen sie beherrscht werde?

     Wenn wir uns umsehen im Gebiete der Physik und Chemie, der Wissenschaften, welche die Atomkräfte behandeln, finden wir Ähnliches nur bei den Kristallen.

     So wie Lebewesen gestalten sie sich gesetzmäßig durch die Kräfte ihrer Atome; freilich in ganz anderen Formen.

     Der erste Film zeigt Kristalle von naphtionsaurem Natriumin erkaltender Lösung im Wasser wachsend, beim Erwärmen bis auf gerundete Reste sich lösend und dann diese wieder zu scharfkantigen ebenflächigen Polyedern ausheilend.

     Aus der polyedrischen Form der Kristalle hat man schon seit alter Zeit einen raumgitterartigen Aufbau derselben geschlossen, der sich heute mit Hilfe der Röntgenstrahlen genau untersuchen läßt.