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bloss ein einziger, oder dass viele Individuen entstanden sind? Sind all diese zahllosen Sorten von Pflanzen und Thieren in Form von Saamen und Eiern, oder sind sie als ausgewachsene Individuen erschaffen worden? und die Säugthiere insbesondere, sind sie geschaffen worden mit dem falschen Merkmale der Ernährung vom Mutter-Leibe auf? Obwohl diese Naturforscher sehr angemessen eine vollständige Aufklärung über jede Schwierigkeit von denjenigen verlangen, welche an die Veränderlichkeit der Arten glauben, so ignoriren sie ihrerseits die ganze Frage vom ersten Auftreten der Arten und beobachten darüber ein ehrerbietiges Stillschweigen [1].

     Man kann noch die Frage aufwerfen, wie weit ich die Lehre von der Abänderung der Spezies ausdehne? Diese Frage ist schwer zu beantworten, weil, je verschiedener die Formen sind, welche wir betrachten, desto mehr die Argumente an Stärke verlieren. Doch sind einige schwer-wiegende Beweisgründe sehr weitreichend. Alle Glieder einer ganzen Klasse können durch Verwandtschafts-Beziehungen mit einander verkettet und alle nach dem nämlichen Prinzip in unterabgetheilte Gruppen klassifizirt werden. Fossile Reste sind oft geeignet grosse Lücken zwischen den lebenden Ordnungen des Systemes auszufüllen. Verkümmerte Organe beweisen oft, dass der erste Stammvater dieselben Organe in vollkommen entwickeltem Zustande besessen habe; daher ihr Vorkommen nach ihrer jetzigen Beschaffenheit ein ungeheures Maass von Abänderung in dessen Nachkommen voraussetzt. Durch ganze Klassen hindurch sind mancherlei Gebilde nach einem gemeinsamen Model geformt, und im Embryo-Stande gleichen alle Arten einander genau. Daher ich keinen Zweifel hege, dass die Theorie der Abstammung mit allmählicher Abänderung alle Glieder einer nämlichen Klasse mit einander verbinde. Ich glaube, dass die Thiere von höchstens vier oder fünf [2] und die Pflanzen von eben so vielen oder noch weniger Stamm-Arten herrühren.

     Die Analogie würde mich noch einen Schritt weiter führen,


  1. Vergl. S. 512 im nächsten Kapitel.
  2. Diese Zahl entspräche also den Unterreichen oder Kreisen des Thier-Reichs, welche der Verf. gewöhnlich auch unter dem Namen der „grossen Klassen“ versteht. Er sagt aber nirgends, auf welche Weise er sich das Thier-Reich an diese 4—5 Stammarten vertheilt denke.     D. Übs.
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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_487.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)