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in den Embryonen der verschiedenen Nachkommen der Stamm-Art einander noch sehr ähnlich seyn; denn sie sind von den Modifikationen nicht betroffen worden. Nun werden aber in jeder unsrer neuen Arten die embryonischen Vordergliedmaassen sehr von denen des reifen Thieres verschieden seyn, weil diese letzten erst in spätrer Lebens-Periode grosse Abänderung erfahren haben und in Hände, Ruder und Flügel umgewandelt worden sind. Was immer für einen Einfluss lange fortgesetzter Gebrauch und Übung einerseits und Nichtgebrauch andrerseits auf die Abänderung eines Organes haben mag, so wird ein solcher Einfluss hauptsächlich das reife Thier betreffen, welches bereits zu seiner ganzen Thatkraft gelangt ist und sein Leben selber fristen muss; und die so entstandenen Wirkungen werden sich im entsprechenden reifen Alter vererben. Daher rührt es, dass das Junge durch die Folgen des Gebrauchs und Nichtgebrauchs nicht verändert wird oder nur wenige Abänderung erfährt.

     In gewissen Fällen mögen die aufeinander-folgenden Abänderungs-Stufen, aus uns ganz unbekannten Gründen, schon in sehr früher Lebens-Zeit erfolgen, oder jede solche Stufe in einer früheren Lebens-Periode vererbt werden, als worin sie zuerst entstanden ist. In beiden Fällen wird das Junge oder der Embryo (wie die Beobachtung am kurzstirnigen Purzler zeigt) der reifen älterlichen Form vollkommen gleichen. Wir haben gesehen, dass Diess die Regel ist in einigen ganzen Thier-Gruppen, bei den Sepien und Spinnen, und in einigen wenigen Fällen auch in der grossen Klasse der sechsfüssigen Insekten, wie namentlich bei den Blattläusen. Was nun die End-Ursache betrifft, warum das Junge in diesen Fällen keine Metamorphose durchläuft oder seinen Ältern von der frühesten Stufe an schon gleicht, so kann Diess etwa von den folgenden zwei Bedingungen herrühren: erstens davon, dass das Junge im Verlaufe seiner durch viele Generationen fortgesetzten Abänderung schon von sehr früher Entwickelungs-Stufe an für seine eignen Bedürfnisse zu sorgen hatte, und zweitens davon, dass es genau dieselbe Lebens-Weise wie seine Ältern befolgte. Vielleicht ist jedoch noch eine Erklärung

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_451.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)