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     Um die Wirkungen des Klima-Wechsels auf die Vertheilung der Organismen durch Beispiele zu erläutern, habe ich die Wichtigkeit des Einflusses der Eis-Zeit nachzuweisen gesucht, welche nach meiner vollen Überzeugung sich gleichzeitig über die ganze Erd-Oberfläche oder wenigstens über grosse meridianale Striche derselben erstreckt hat. Und um zu zeigen, wie manchfaltig die gelegentlichen Transport-Mittel sind, habe ich die Ausbreitungs-Weise der Süsswasser-Bewohner etwas ausführlicher auseinandergesetzt.

     Wenn sich die Schwierigkeiten der Annahme, dass im Verlaufe langer Zeiten die Einzelwesen einer Art ebenso wie die verwandten Arten von einer gemeinsamen Quelle ausgegangen, sich nicht unübersteiglich erweisen, dann glaube ich, dass alle leitenden Erscheinungen der geographischen Verbreitung mittelst der Theorie der Wanderung (hauptsächlich der herrschendern Lebenformen) und darauf-folgender Abänderung und Vermehrung der neuen Formen erklärbar sind. Man vermag alsdann die grosse Bedeutung der natürlichen Schranken — Wasser oder Land — zwischen den verschiedenen botanischen wie zoologischen Provinzen zu erkennen. Man vermag dann die örtliche Beschränkung von Untersippen, Sippen und Familien zu begreifen, und woher es komme, dass in verschiedenen geographischen Breiten, wie z. B. in Süd-Amerika, die Bewohner der Ebenen und Berge, der Wälder, Marschen und Wüsten, in so geheimnissvoller Weise durch Verwandtschaft miteinander wie mit den erloschenen Wesen verkettet sind, welche ehedem denselben Welttheil bewohnt haben. Indem wir erwägen, dass die gegenseitigen Beziehungen von Organismus zu Organismus von höchster Wichtigkeit sind, vermögen wir einzusehen, warum zwei Gebiete mit beinahe den gleichen physikalischen Bedingungen von verschiedenen Lebenformen bewohnt sind. Denn je nach der Länge der seit der Ankunft der neuen Bewohner in einer Gegend verflossenen Zeit, — je nach der Natur des Verkehrs, welcher gewissen Formen gestattete und andern wehrte sich in grösserer oder geringerer Anzahl einzudrängen, — je nachdem diese Eindringlinge in mehr oder weniger unmittelbare Bewerbung miteinander

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_412.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)