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Stamm-Form erklären lässt, sondern voneinander unabhängigen Züchtungs-Thätigkeiten zugeschrieben werden muss. Ich will hier nicht auf diese mancherlei Fälle eingehen, sondern nur bei einer besondern Schwierigkeit stehen bleiben, welche mir anfangs unübersteiglich und meiner ganzen Theorie verderblich zu seyn schien. Ich will von den geschlechtlosen Individuen oder unfruchtbaren[WS 1] Weibchen der Insekten-Kolonien sprechen; denn diese Geschlechtlosen weichen sowohl von den Männchen als den fruchtbaren Weibchen in Bau und Instinkt oft sehr weit ab und können doch, weil sie steril sind, ihre eigenthümliche Beschaffenheit nicht selbst durch Fortpflanzung weiter übertragen.

     Dieser Gegenstand würde sich zu einer weitläufigen Erörterung eignen; doch will ich hier nur einen einzelnen Fall herausheben, die Arbeits-Ameisen. Anzugeben wie diese Arbeiter steril geworden sind, ist eine grosse Schwierigkeit, doch nicht grösser als bei andren auffälligen Abänderungen in der Organisation auch. Denn es lässt sich nachweisen, dass einige Sechsfüsser u. a. Kerbthiere im Natur-Zustande zuweilen unfruchtbar werden; und falls Diess nun bei gesellig lebenden Arten vorgekommen und es der Gemeinde vortheilhaft gewesen ist, dass jährlich eine Anzahl zur Arbeit geschickter aber zur Fortpflanzung untauglicher Individuen unter ihnen geboren werde, so dürfte keine grosse Schwierigkeit für die Natürliche Züchtung mehr stattgefunden haben, jenen Zufall zur weitern Entwickelung dieser Anlage zu benützen. Doch muss ich über dieses vorläufige Bedenken hinweggehen. Die Grösse der Schwierigkeit liegt darin, dass diese Arbeiter sowohl von den männlichen wie von den weiblichen Ameisen auch in ihrem übrigen Bau, in der Form des Bruststückes, in dem Mangel der Flügel und zuweilen der Augen, so wie in ihren Instinkten weit abweichen. Was den Instinkt allein betrifft, so hätte sich die wunderbare Verschiedenheit, welche in dieser Hinsicht zwischen den Arbeiterinnen und den fruchtbaren Weibchen ergibt, noch weit besser bei den Honig-Bienen [1] nachweisen


  1. von Siebold hat bekanntlich im vorigen Jahre nachgewiesen, dass bei der Honigbiene (u. a. Insekten) das Geschlecht der Eier von der Befruchtung abhängig ist, welche im Willen der Bienenkönigin steht und nur in gewissen Zellen erfolgt, in andern unterbleibt.     D. Übs.
  1. Im Original unfruchtharen
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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_246.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)