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das Auge ist, durch Natürliche Züchtung hervorgebracht werden könne, mehr als genügt um jeden wankend zu machen, so ist doch keine logische Unmöglichkeit vorhanden, dass irgend ein Organ unter veränderlichen Lebens-Bedingungen durch eine lange Reihe von Abstufungen in seiner Zusammensetzung, deren jede dem Besitzer nützlich ist, endlich jeden begreiflichen Grad von Vollkommenheit auf dem Wege Natürlicher Züchtung erlange. In Fällen, wo wir keine Zwischenzustände kennen, müssen wir uns wohl zu schliessen hüten, dass solche niemals bestanden hatten; denn die Homologien vieler Organe und ihre Zwischenstufen zeigen, dass wunderbare Veränderungen in ihren Verrichtungen wenigstens möglich sind. So ist z. B. eine Schwimmblase offenbar in eine Luft-athmende Lunge verwandelt worden. Übergänge müssen namentlich oft in hohem Grade erleichtert worden seyn da, wo ein und dasselbe Organ mehre sehr verschiedene Verrichtungen zugleich zu besorgen hatte und dann nur für eine von beiden Verrichtungen allein noch besser hergestellt zu werden brauchte, und da wo gleichzeitig zwei sehr verschiedene Organe an derselben Funktion theilnahmen und das eine mit Unterstützung des andern sich weiter vervollkommnen konnte.

     Wir sind in Bezug auf die meisten Fälle viel zu unwissend, um behaupten zu dürfen, dass ein Theil oder Organ für das Gedeihen einer Art unwesentlich seye, und dass Abänderungen seiner Bildung nicht durch Natürliche Züchtung mittelst langsamer Häufung haben bewirkt werden können. Doch dürfen wir zuversichtlich annehmen, dass viele Abänderungen gänzlich nur von den Wachsthums-Gesetzen veranlasst und, anfänglich ohne allen Nutzen für die Art, später zum Vortheil weiter umgeänderter Nachkommen dieser Art verwendet worden sind. Wir dürfen ferner glauben, dass ein für frühere Formen hochwichtiger Theil auch von späteren Formen (wie der Schwanz eines Wasser-Thieres von den davon abstammenden Land-Thieren) beibehalten worden ist, obwohl er für dieselben so unwichtig erscheint, dass er in seinem jetzigen Zustande nicht durch Natürliche Züchtung erworben seyn könnte, indem diese Kraft nur auf die Erhaltung

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_215.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)