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angeborenen Neigung zu weiterer Veränderung aller Art, und anderseits dem Vermögen fortwährender Züchtung zur Reinerhaltung der Rasse. Bei langer Dauer gewinnt Züchtung den Sieg, und wir fürchten nicht mehr so weit vom Ziele abzuweichen, dass wir von einem guten kurzstirnigen Stamm nur einen gemeinen Purzier erhielten. So lange aber die Züchtung noch in raschem Fortschritt begriffen ist, wird immer eine grosse Unbeständigkeit in dem der Veränderung unterliegenden Gebilde zu erwarten seyn. Es verdient ferner bemerkt zu werden, dass diese durch künstliche Züchtung erzeugten veränderlichen Charaktere aus uns ganz unbekannten Ursachen sich zuweilen mehr an das eine als an das andre Geschlecht knüpfen, und zwar gewöhnlich an das männliche, wie die Fleischwarzen der Englischen Botentaube und der mächtige Kropf des Kröpfers.

     Doch kehren wir zur Natur zurück. Ist ein Theil in irgend einer Spezies den andern Arten derselben Sippe gegenüber auf aussergewöhnliche Weise vergrössert, so können wir annehmen, derselbe habe seit ihrer Abzweigung von dem gemeinsamen Stamme einen ungewöhnlichen Betrag von Abänderung erfahren. Diese Zeit der Abzweigung wird selten ausserordentlich weit zurückliegen, da Arten nur selten länger als eine geologische Periode dauern. Ein ungewöhnlicher Betrag von Verschiedenheit setzt ein ungewöhnlich langes und ausgedehntes Maass von Veränderlichkeit voraus, deren Produkt durch Züchtung zum Besten der Spezies fortwährend gehäuft worden ist. Da aber die Veränderlichkeit des ausserordentlich entwickelten Theiles oder Organes in einer nicht sehr weit zurückreichenden Zeit so gross und andauernd gewesen ist, so möchten wir auch jetzt noch in der Regel mehr Veränderlichkeit in solchen als in andern Theilen der Organisation, welche schon seit viel längrer Zeit beständig geworden sind, anzutreffen erwarten. Und diese findet nach meiner Überzeugung statt. Dass aber der Kampf zwischen Natürlicher Züchtung einerseits und der Neigung zur Rückkehr und zur weiteren Abänderung anderseits mit der Zeit aufhören und auch die am abnormsten gebildeten Organe beständig werden können, ist kein Grund vorhanden

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_164.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)