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der Kronen-Blätter zu einer Röhre[1]. Harte Theile scheinen auf die Form anliegender weicher einzuwirken, und einige Autoren sind der Meinung, dass die Verschiedenheit in der Form des Beckens der Vögel den merkwürdigen Unterschied in der Form ihrer Nieren verursache. Andere glauben, dass beim Menschen die Gestalt des Beckens der Mutter durch Druck auf die Schädel-Form des Kindes wirke[2]. Bei Schlangen bedingen nach Schlegel die Form des Körpers und die Art des Schlingens die Lage einiger der wichtigsten Eingeweide. Die Beschaffenheit des Bandes der Wechselbeziehung ist sehr oft ganz dunkel. Isidore Geoffroy Saint-Hilaire hat auf nachdrückliche Weise hervorgehoben, dass gewisse Missbildungen sehr häufig und andre sehr selten zusammen vorkommen, ohne dass wir den Grund anzugeben vermöchten. Was kann eigenthümlicher seyn, als die Beziehung zwischen den blauen Augen und der Taubheit der Katzen, oder die der Farbe des Panzers mit dem weiblichen Geschlechte der Schildkröten; die Beziehung zwischen den gefiederten Füssen und der Spannhaut zwischen den äusseren Zehen der Tauben, oder die zwischen der Anwesenheit von mehr oder weniger Flaum an den eben ausschlüpfenden Vögeln mit der künftigen Farbe ihres Gefieders; oder endlich zwischen Behaarung und Zahn-Bildung des nackten Türkischen Hundes, obschon hier wohl Homologie mit ins Spiel kommt. Mit Bezug auf diesen letzten Fall von Wechselbeziehung scheint es mir kaum zufällig zu seyn, dass diejenigen zwei Säugethier-Ordnungen, welche am abnormsten in ihrer Bekleidung, auch am abweichendsten in der Zahn-Bildung sind; nämlich die Cetaceen (Wale) und die Edentaten (Schuppenthiere, Gürtelthiere u. s. w.).

     Ich kenne keinen Fall, der besser geeignet wäre, die Wesenheit

  1. Weit gewöhnlicher ist gewiss das Streben homologer Theile sich sowie andre mit fortschreitender Entwicklung selbstständiger zu differenziren, es seye denn, dass jenes Streben unter sich zusammenzuhängen eine Differenzirung von heterologen Theilen bewirke, wie eben in Blumen.     D. Übrs.
  2. Dieses ist nur bei solchen weichen Theilen denkbar, welche sich nach den ihnen anliegenden harten bilden, die ihrerseits selbst aus weichen hervorgehen. Der Schädel modelt nicht das werdende Gehirn, sondern dieses den Schädel!     D. Übrs.
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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_155.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)