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Naturforscher als die vollkommensten angesehen werden, weil sie den Reptilien am nächsten stehen, während andre den gewöhnlichen Knochen-Fischen (Teleosti) die erste Stelle anweisen, weil sie die ausgebildetste Fisch-Form haben und am meisten von alle andern Vertebraten abweichen[1]. Noch deutlicher erkennen wir die Schwierigkeit, wenn wir uns zu den Pflanzen wenden, wo der von geistiger Befähigung hergenommene Maasstab ganz wegfällt; und hier stellen einige Botaniker diejenigen Pflanzen am höchsten, welche sämmtliche Organe, wie Kelch- und Kronen-Blätter, Staubfäden und Staubwege in jeder Blüthe vollständig entwickelt besitzen, während Andre wohl mit mehr Recht jene für die vollkommensten erachten, deren verschiedenen Organe stärker metamorphosirt und auf geringere Zahlen zurückgeführt sind.

     Nehmen wir die Differenzirung und Spezialisirung der einzelnen Organe als den besten Maasstab der organischen Vollkommenheit der Wesen im ausgewachsenen Zustande an (was mithin auch die fortschreitende Entwickelung des Gehirnes für die geistigen Zwecke mit in sich begreift), so muss die Natürliche Züchtung offenbar zur Vervollkommnung führen; denn alle Physiologen geben zu, dass die Spezialisirung seiner Organe, insoferne sie in diesem Zustande ihre Aufgaben besser erfüllen, für jeden Organismus von Vortheil ist; und daher liegt Häufung der zur Spezialisirung führenden Abänderungen im Zwecke der Natürlichen Züchtung. Auf der andern Seite ist es aber auch, unter Berücksichtigung, dass alle organischen Wesen sich in raschem Verhältnisse zu vervielfältigen und jeden schlecht besetzten Platz im Hausstande der Natur einzunehmen streben, der Natürlichen Züchtung wohl möglich, ein organisches Wesen solchen Verhältnissen anzupassen, wo ihnen manche Organe nutzlos und überflüssig sind, und dann findet ein Rückschritt auf der

  1. Hier ist ein Missverständniss. Aus den zwei zuletzt genannten Gründen könnten die Knochen-Fische die „vollkommensten Fische,“ aber nicht die „vollkommensten Fische“ seyn, d. h. den Typus der Fische aber nicht die Vollkommenheit am besten repräsentiren. Die Knochen-Fische sind aber vollkommnere Fische aus andern Gründen.     D. Übs.
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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_134.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)