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nur äusserst wenige der ältesten Arten noch jetzt lebende veränderte Nachkommen hinterlassen haben, so mag doch die Erde in den ältesten geologischen Zeit-Abschnitten eben so bevölkert gewesen seyn mit zahlreichen Arten aus manchfaltigen Sippen, Familien, Ordnungen und Klassen, wie heutigen Tages.

     Ein ausgezeichneter Naturforscher hat dagegen eingewendet, die fortwährende Thätigkeit der Züchtung, mit Divergenz des Charakters verbunden, müsse zu einer endlosen Menge von Arten-Formen führen. Was die blos unorganischen Bedingungen betrifft, so würde allerdings wahrscheinlich eine genügende Anzahl von Arten allen erheblicheren Verschiedenheiten von Wärme, Feuchtigkeit u. s. w. angepasst werden können; ich nehme aber an, dass die Wechselbeziehungen der organischen Wesen zu einander bei weitem die wichtigsten sind, und wenn die Zahl der Arten in einer Gegend in Zunahme begriffen ist, so werden die organischen Lebens-Bedingungen immer verwickelter werden. Anfänglich scheint es daher wohl, als gebe es keine Grenze für den Betrag nützlicher Differenzirung der Organisation und daher keine Grenze für die Anzahl der möglicher Weise hervorzubringenden Arten. Es ist uns nicht bekannt, dass selbst das fruchtbarste Land-Gebiet mit organischen Formen vollständig besetzt seye, da ja selbst am Cap der guten Hoffnung, das eine so erstaunliche Arten-Zahl hervorbringt, noch viele Europäische Pflanzen naturalisirt worden sind. Die Geologie lehrt uns jedoch, dass wenigstens innerhalb der unermesslichen Tertiär-Periode die Arten-Zahl der Konchylien und wahrscheinlich auch der Säugthiere bis daher nicht vergrössert worden ist. Was hemmt nun dieses Wachsthum der Arten-Zahl in’s Unendliche? Erstens muss der Betrag des auf einem Gebiete unterhaltenen Lebens (ich meine damit nicht die Zahl der spezifischen Formen) eine Grenze haben, da es ja in so reichlichem Maasse von physikalischen Bedingungen abhängt; wo daher viele Arten erhalten werden müssen, da werden sie alle oder meistens arm an Individuen seyn; und eine Art mit wenigen Individuen wird in Gefahr seyn durch zufällige Schwankungen in der Beschaffenheit der Jahres-Zeiten

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_131.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)