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und grosses Maass von Verschiedenheit zu erklären, als zwischen Varietäten einer Art und zwischen Arten einer Sippe vorhanden ist.

     Wir wollen daher, wie ich es bis jetzt zu thun gewöhnt war, auch diesen Gegenstand mit Hilfe unsrer Kultur-Erzeugnisse erläutern. Wir werden dabei etwas Analoges finden. Ein Liebhaber wird durch eine Taube mit merklich kürzerem und ein andrer durch eine solche mit viel längerem Schnabel erfreut, und da »Liebhaber Mittelmässigkeiten nicht bewundern, sondern Extreme lieben«, so machen sich beide daran (wie es mit Purzeltauben wirklich der Fall gewesen) zur Nachzucht Vögel mit immer kürzeren und kürzeren oder immer längeren und längeren Schnäbeln zu wählen. Ebenso können wir unterstellen, es habe Jemand in früherer Zeit schlankere und ein andrer Jemand stärkere und schwerere Pferde vorgezogen. Die ersten Unterschiede werden nur sehr gering gewesen seyn; wenn nun aber im Laufe der Zeit einige Züchter fortwährend die schlankeren, und andre ebenso die schwereren Pferde zur Nachzucht auswählen, so werden die Verschiedenheiten immer grösser werden und Veranlassung geben, zwei Unterrassen zu unterscheiden, und nach Verlauf von Jahrhunderten können diese Unterrassen sich endlich zu zwei wohl-begründeten verschiedenen Rassen ausbilden. Da die Verschiedenheiten langsam zunehmen, so werden die unvollkommeneren Thiere von mittlem Charakter, die weder sehr leicht noch sehr schwer sind, vernachlässigt werden und zum Erlöschen neigen. Daher sehen wir dann auch in diesen künstlichen Erzeugnissen des Menschen, dass in Folge des Divergenz-Prinzips, wie man es nennen könnte, die anfangs kaum bemerkbaren Verschiedenheiten immer zunehmen und die Rassen immer weiter unter sich wie von ihren gemeinsamen Stamm-Ältern abweichen.

     Aber wie, kann man fragen, lässt sich ein solches Prinzip auf die Natur anwenden? Ich glaube, dass es schon durch den einfachen Umstand eine erfolgreiche Anwendung findet, dass, je weiter die Abkömmlinge einer Spezies in Bau, organischen Verrichtungen und Lebensweise auseinandergehen, um so besser sie geeignet seyn

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_117.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)