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Natur. Findet sich ein beschränktes Gebiet mit einer nicht ganz angemessen ausgefüllten Stelle in ihrer geselligen Zusammensetzung, so wird die Natürliche Züchtung bestrebt seyn, alle Individuen zu erhalten, die, wenn auch in verschiedenem Grade, doch in der angemessenen Richtung so variiren, dass sie die Stelle allmählich besser auszufüllen im Stande sind. Ist jenes Gebiet aber gross, so werden seine verschiedenen Bezirke gewiss ungleiche Lebens-Bedingungen darbieten; und wenn dann durch den Einfluss der Natürlichen Züchtung irgend eine Spezies auf eine andre Weise in jedem Bezirke abgeändert worden, so wird an den Grenzen dieser Bezirke eine Kreutzung zwischen den Individuen jener verschiedenen Abänderungen eintreten, und in diesem Falle kann die Wirkung der Kreutzung durch die der Natürlichen Züchtung, welche bestrebt ist alle Individuen eines jeden Bezirks genau in derselben Weise den Lebens-Bedingungen anzupassen, kaum aufgewogen werden, weil in einer zusammenhängenden Fläche die Lebens-Bedingungen des einen in die des anderen Bezirkes allmählich übergehen. Die Kreutzung wird hauptsächlich diejenigen Thiere berühren, welche sich zu jeder Fortpflanzung paaren, viel wandern und sich nicht rasch vervielfältigen. Daher bei Thieren dieser Art, Vögeln z. B., die Abänderungen gewöhnlich auf getrennte Gegenden beschränkt seyn müssen, wie es auch der Fall zu seyn scheint. Bei Zwitter-Organismen, welche sich nur von Zeit zu Zeit mit andern kreutzen, sowie bei solchen Thieren, die zu jeder Verjüngung ihrer Art sich paaren, aber wenig wandern und sich sehr rasch vervielfältigen können, dürfte sich eine neue und verbesserte Varietät an irgend einer Stelle rasch bilden und sich dort in Masse zusammenhalten, so dass alle Kreutzung, wie sie auch beschaffen seye, nur zwischen Einzelthieren derselben neuen Varietät erfolgt. Ist eine örtliche Varietät auf solche Weise einmal gebildet, so wird sie sich nachher nur langsam über andre Bezirke verbreiten. Nach dem obigen Prinzip ziehen Pflanzschulen-Besitzer es immer vor, Saamen von einer grossen Pflanzen-Masse gleicher Varietät zu ziehen, weil hiedurch die Möglichkeit einer Kreutzung mit anderen Varietäten gemindert wird.

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_108.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)