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welchen die Bienen, von Blüthe zu Blüthe nach Nektar suchend, an ihren Haaren vom männlichen Stamme mit herüber gebracht hatten. Doch kehren wir nun zu unserem ersonnenen Falle zurück. Sobald jene Pflanze in solchem Grade anziehend für die Insekten geworden, dass sie den Pollen regelmässig von einer Blüthe zur andern tragen, wird ein andrer Prozess beginnen. Kein Naturforscher zweifelt an dem Vortheil der sogen. »physiologischen Theilung der Arbeit«; daher man glauben darf, es seye nützlich für eine Pflanzen-Art in einer Blüthe oder an einem ganzen Stocke nur Staubgefässe und in der andern Blüthe oder auf dem andern Stocke nur Pistille hervorzubringen. Bei kultivirten oder in neue Existenz-Bedingungen versetzten Pflanzen schlagen manchmal die männlichen und zuweilen die weiblichen Organe mehr oder weniger fehl. Nehmen wir aber an, Diess geschehe auch in einem wenn noch so geringen Grade im Natur-Zustande derselben, so würden, da der Pollen schon regelmässig von einer Blume zur andern geführt wird und eine vollständige Trennung der Geschlechter unsrer Pflanze ihr nach dem Prinzipe der Arbeitstheilung vortheilhaft ist, Individuen mit einer mehr und mehr entwickelten Tendenz dazu fortwährend begünstigt und zur Nachzucht ausgewählt werden, bis endlich die Trennung der Geschlechter vollständig wäre.

     Kehren wir nun zu den von Nektar lebenden Insekten in unserem ersonnenen Falle zurück; nehmen wir an, die Pflanze mit durch andauernde Züchtung zunehmender Nektar-Bildung sey eine gemeine Art, und unterstellen wir, dass gewisse Insekten hauptsächlich auf deren Nektar als ihre Nahrung angewiesen sind. Ich könnte durch manche Beispiele nachweisen, wie sehr die Bienen bestrebt sind, Zeit zu ersparen. Ich will mich jedoch nur auf ihre Gewohnheit berufen, im den Grund gewisser Blumen Öffnungen zu machen, um durch diese den Nektar zu saugen, welchen sie mit ein Bischen mehr Weile durch die Mündung heraus holen könnten. Dieser Thatsachen eingedenk halte ich es nicht für gewagt anzunehmen, dass eine zufällige Abweichung in der Grösse und Form ihres Körpers oder in der Länge und Krümmung ihres Rüssels, wenn auch viel zu unbedeutend

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_099.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)