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     Sorgfältige Forschung wird in den meisten Fällen die Naturforscher zur Verständigung darüber bringen, wofür die zweifelhaften Formen zu halten sind. Doch müssen wir bekennen, dass es gerade in den am besten bekannten Gegenden die meisten zweifelhaften Formen gibt. Ich war über die Thatsache erstaunt, dass von solchen Thieren und Pflanzen, welche dem Menschen in ihrem Natur-Zustande sehr nützlich sind oder aus irgend einer anderen Ursache seine besondre Aufmerksamkeit erregen, fast überall Varietäten angeführt werden. Diese Varietäten werden jedoch oft von einem oder dem andern Autor als Arten bezeichnet. Wie sorgfältig ist die gemeine Eiche studirt worden! Nun macht aber ein Deutscher Autor über ein Dutzend Arten aus den Formen, welche bis jetzt stets als Varietäten angesehen wurden; und in diesem Lande können unter den höchsten botanischen Gewährsmännern und vorzüglichsten Praktikern welche sowohl zu Gunsten der Meinung, dass die Trauben- und die Stiel-Eiche gut unterschiedene Arten seyen, wie auch andre für die gegentheilige Ansicht nachgewiesen werden.

     Wenn ein junger Naturforscher eine ihm ganz unbekannte Gruppe von Organismen zu studiren beginnt, so macht ihn anfangs die Frage verwirrt, was für Unterschiede die Arten bezeichnen, und welche von ihnen nur Varietäten angehören; denn er weiss noch nichts von der Art und der Grösse der Abänderungen, deren die Gruppe fähig ist; und Diess beweiset eben wieder, wie allgemein wenigstens einige Variation ist. Wenn er aber seine Aufmerksamkeit auf eine Klasse in einer Gegend beschränkt, so wird er bald darüber im Klaren seyn, wofür er diese zweifelhaften Formen anzuschlagen habe. Er wird im Allgemeinen geneigt seyn, viele Arten zu machen, weil ihn, so wie die vorhin erwähnten Tauben- oder Hühner - Freunde das Maas der Abänderung in den seither von ihm studirten Formen betroffen macht, und weil er noch wenig allgemeine Kenntniss von analoger Abänderung in andern Gruppen und andern Gegenden zur Berichtigung jener zuerst empfangenen Eindrücke besitzt. Dehnt er nun den Kreis seiner Beobachtung weiter aus, so wird er noch auf andre Schwierigkeiten stossen; er wird einer grossen

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite xxx. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_056.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)