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Doch, wer kann behaupten, dass die zwergartige Beschaffenheit der Konchylien im Brackwasser des Baltischen Meeres, oder die verringerte Grösse der Pflanzen auf den Höhen der Alpen, oder der dichtere Pelz eines Thieres in höheren Breiten nicht auf wenigstens einige Generationen vererblich seye? und in diesem Falle würde man, glaube ich. die Form eine »Varietät« nennen.

     Dagegen gibt es manche geringe Verschiedenheiten, welche man als individuelle bezeichnen kann, da man von ihnen weiss, dass sie oft unter den Abkömmlingen von einerlei Ältern vorkommen, oder unter solchen die wenigstens dafür gelten, weil sie zur nämlichen Art gehören und auf begrenztem Räume nahe beisammen wohnen. Niemand unterstellt, dass alle Individuen einer Art genau nach demselben Model gebildet seyen. Diese individuellen Verschiedenheiten sind nun gerade sehr wichtig für uns, weil sie der natürlichen Züchtung Stoff zur Häutung liefern, wie der Mensch in seinen kultivirten Rassen individuelle Verschiedenheiten in gegebener Richtung zusammenhäuft. Diese individuellen Verschiedenheiten betreffen in der Regel nur die in den Augen des Naturforschers unwesentlichen Theile; ich könnte jedoch aus einer langen Liste von Thatsachen nachweisen, dass auch Theile, die man aus dem physiologischen wie aus dem klassifikatorischen Gesichtspunkte als wesentliche bezeichnen muss, zuweilen bei den Individuen von einerlei Art variiren. Ich bin überzeugt, dass die erfahrensten Naturforscher erstaunt seyn würden über die Menge von Fällen möglicher Abänderungen sogar in wichtigen Theilen des Körpers, die ich im Laufe der Jahre nach guten Gewährsmännern zusammengetragen habe. Man muss sich aber auch dabei noch erinnern, dass Systematiker nicht erfreut sind Veränderlichkeit in wichtigen Charakteren zu entdecken, und dass es nicht viele Leute gibt, die ein Vergnügen daran fänden, innre wichtige Organe sorgfältig zu untersuchen und in vielen Exemplaren einer und der nämlichen Art mit einander zu vergleichen. So hätte ich nimmer erwartet, dass die Verzweigungen des Hauptnerven dicht am grossen Zentralnervenknoten eines Insektes in der nämliche Species abändern könne, sondern hätte vielmehr gedacht, Veränderungen dieser Art konnten nur langsam

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite xxx. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_051.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)