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der Nachkommenschaft immer in dem entsprechenden Alter, oder zuweilen wohl früher, zum Vorschein kommt. In vielen Fällen ist Diess nicht anders möglich, weil die erblichen Eigenthümlichkeiten z. B. in den Hörnern des Rindviehs an den Nachkommen sich erst im reifen Aller zeigen können: und eben so gibt es bekanntlich Eigenthümlichkeiten des Seidenwurms, die nur den Raupen- oder den Puppen-Zustand betreffen. Aber erbliche Krankheiten u. e. a. Thatsachen veranlassen mich zu glauben, dass die Regel eine weitere, Ausdehnung hat, und dass selbst da, wo kein offenbarer Grund für das Erscheinen einer Abänderung in einem bestimmten Aller vorliegt, doch das Stieben vorherrscht, auch am Nachkommen in dem gleichen Lebens-Abschnitte sich zu zeigen, wo sie an dem Vorfahren erstmals eingetreten ist. Ich glaube, dass diese Regel von der grössten Wichtigkeit für die Erklärung der Gesetze der Embryologie ist. Diese Bemerkungen beziehen sich übrigens auf das erste Sichtbarwerden der Eigenthümlichkeit, und nicht auf ihre erste Veranlassung, die vielleicht schon in dem männlichen oder weiblichen Zeugungsstoff liegen kann, in der Weise etwa, wie der aus der Kreutzung einer kurz-hornigen Kuh und eines langhörnigen Bullen hervorgegangene Sprössling die grössre Länge seiner Hörner erst spät im Leben zeigen kann, obwohl die erste Ursache dazu schon im Zeugungsstoff des Vaters liegt.

     Ich habe des Falles der Rückkehr zur grossälterlichen Bildung erwähnt und in dieser Beziehung noch anzuführen, dass die Naturforscher oft behaupten, unsre Hausthier-Rassen nähmen, wenn sie verwilderten, zwar nur allmählich, aber doch gewiss, wieder den Charakter ihrer wilden Stammältern an, woraus man dann geschlossen hat, dass Folgerungen von zahmen Rassen auf die Arten in ihrem Natur-Zustande nicht zulässig seyen. Ich habe jedoch vergeblich auszumitteln gestrebt, auf was für entscheidende Thatsachen sich jene so oft und so bestimmt wiederholte Behauptung stütze. Es möchte sehr schwer sein, ihre Richtigkeit nachzuweisen; denn wir können mit Sicherheit sagen, dass sehr viele der ausgeprägtesten zahmen Varietäten im wilden Zustande gar nicht leben könnten. In vielen Fällen kennen wir

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite xxx. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_020.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)