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dafür schulde, dass er mich in den letzten fünfzehn Jahren in jeder möglichen Weise durch seine reichen Kenntnisse und sein ausgezeichnetes Urtheil unterstützt hat.

Wenn ein Naturforscher über die Entstehung der Arten nachdenkt, so ist es wohl begreiflich, dass er in Erwägung der gegenseitigen Verwandtschafts-Verhältnisse der Organismen, ihrer embryonalen Beziehungen, ihrer geographischen Verbreitung, ihrer geologischen Aufeinanderfolge und andrer solcher Thatsachen zu dem Schlusse gelangen könne, dass jede Art nicht unabhängig von andern erschaffen seye, sondern nach der Weise der Varietäten von andern Arten abstamme. Demungeachtet dürfte eine solche Schlussfolgerung, selbst wenn sie richtig wäre, kein Genüge leisten, so lange nicht nachgewiesen werden kann, auf welche Weise die zahllosen Arten, welche jetzt unsre Erde bewohnen, so abgeändert worden seyen, dass sie die jetzige Vollkommenheit des Baues und der Anpassung für ihre jedesmaligen Lebens-Verhältnisse erlangten, welche mit Recht unsre Bewunderung erregen. Die Naturforscher verweisen beständig auf die äusseren Bedingungen, wie Klima, Nahrung u. s. w. als die einzig möglichen Ursachen ihrer Abänderung. In einem sehr beschränkten Sinne kann, wie wir später sehen werden, Diess wahr seyn. Aber es wäre verkehrt, lediglich äusseren Ursachen z. B. die Organisation des Spechtes, die Bildung seines Fusses, seines Schwanzes, seines Schnabels und seiner Zunge zuschreiben zu wollen, welche ihn so vorzüglich befähigen, Insekten unter der Rinde der Bäume hervorzuholen. Eben so wäre es verkehrt, bei der Mistel-Pflanze, die ihre Nahrung aus gewissen Bäumen zieht, und deren Saamen von gewissen Vögeln ausgestreut werden müssen, wie ihre Blüthen, welche getrennten Geschlechtes sind, die Thätigkeit gewisser Insekten zur Übertragung des Pollens von der männlichen auf die weibliche Blüthe voraussetzen, die organische Einrichtung dieses Parasiten mit seinen Beziehungen zu jenen verschiedenerlei organischen Wesen als eine Wirkung äussrer Ursachen oder der Gewohnheit oder des Willens der Pflanze selbst anzusehen.

Es ist daher von der grössten Wichtigkeit eine klare Einsicht

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_009.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)