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Gewänder zu tragen. Unter sprühender Declamation und kunstreichem Gebärdenspiel zieht er dann nach einander Stola, Manipel und alles, was er erübrigen kann, von seinem Leibe und wirft es unter das Volk. Dann steigt er selbst gedemüthigt, vernichtet und mit thränenschwerem Auge von der Kanzel. Der Effect dieses Stückes ist ungeheuer, ob­gleich es ganz genau in derselben Art und Weise bei jeder Mission wiederkehrt und mancher der Zuhörer sich den jungen Zeloten nicht allein auf der Kanzel vergegenwärtigen dürfte, sondern auch in seiner Stube, wie er die Rolle memorirt und vor dem Spiegel die Mimik einstudirt. „Warum ist er denn hinaufgestiegen, fragte ein Bauer seinen Nachbar, wenn er vorher wußte, daß er nicht würdig ist.“ „Sey still, ant­wortete der Andre, das gehört ja zum G’spiel.“

Durch jene Demüthigung hat indessen der Redner sich das Recht erworben, eine gleiche auch von den Zuhörern zu fordern. Das bisher Erzählte war nur das Vorspiel, um die Anwesenden mit Gewalt als selbsthandelnde Personen in dieß religiöse Schauerdrama hereinzuziehen. Er besteigt die Kanzel wieder und mahnt das Volk, sich auf die Knie zu werfen. Die im Vordergrunde stehenden Geistlichen thun dieß, die näch­sten aus dem Volke folgen, und bald liegen alle, oft mehrere tausend Menschen auf dem Boden. In diesem Augenblick läßt sich zuweilen vom Chore herab ein Bußgesang hören, um das Kommende vorzubereiten. Nun ergeht neuerdings die Aufforderung zur lauten Selbstanklage und zu diesem Ende beginnt der Prediger Fragestücke vorzulegen. Da anfangs nur Einzelne mit gepreßter Stimme antworten, so wird die Frage wiederholt und das Volk angeeifert, lauter zu sprechen. Die Antworten werden nunmehr lauter und allgemeiner unter Weinen und Schluchzen. Weinen und Schluchzen mehrt sich und geht in andauerndes Wimmern über. Der Prediger wird immer heißer, flammender, donnernder, die eingestreu­ten Bilder aus der Hölle werden immer schauderhafter, der Eindruck immer dämonischer. Durch das Gewimmer brechen einzelne Schreie und schrillendes Geheul. Sofort allgemeines Geschrei und Geheul des Entsetzens. Der Priester, der mit


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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München: , 1846, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_664.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)