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stürzten. Manche Sennhütten blieben unbesucht, weil sie nicht am Wege standen, aber im vordern Tauernhause wurde eingekehrt. Dieß ist eine jener Herbergen, welche für die Pilger, die über die Tauernpässe ziehen, Unterkunft und schmale Vorräthe wenig leckerer Nahrungsmittel bereit halten. Es waltete in dieser Stiftung eine schöne Tauernhäuserin, die uns mit jener lächelnden Güte aufnahm, mit welcher die Mädchen in solcher Meereshöhe frischen Bergsteigern entgegenzukommen pflegen, zumal wenn sie, die Mädchen, nicht aus dem Stubei, sondern aus dem Pinzgau sind. In der getäfelten Stube ward Wein, Brod und Käse aufgesetzt und um die Wanderer ihrer wegemüden Füße vergessen zu machen, sang das Tauernmädchen mit ihrem jüngern Bruder, den sie herbeigerufen, auch etliche Lieder, die nur zu gut klangen. Wir hätten uns eigentlich in dem Tauernhause alle drei recht wohl gefallen und die Einladungen dazubleiben, den Nachmittag, den Abend, die Nacht, waren fast schwer von der Hand zu weisen; aber wenn wir zu dem kleinen Schubfensterchen hinaussahen und bemerkten, wie des Tages Helle allmählich wieder in den Nebeln unterzugehen drohte, die da und dort an den Halden aufstiegen, aus andern Revieren herüberstrichen, an den Hörnern im Hintergrunde sich sammelten; wenn wir bedachten, wie es denn doch nicht mit Ehren angehe, den ganzen Tag bei der schönen Tauernhäuserin zu versitzen, wie es endlich, so der Tauern heute noch überschritten werden sollte, die höchste Zeit sey, um das Joch zu erreichen, ehe das Unwetter, dessen erste Vorboten sich in den Lüften ergingen, das Fortschreiten unmöglich mache – wenn wir allen diesen Wahrnehmungen und Vernunftgründen ihr gebührendes Gewicht belassen wollten, so mußten wir uns entschließen, mit kurzem Händedruck die kurze Bekanntschaft wieder abzubrechen und unsrer Mission zu folgen. So griffen wir also wieder nach den langen Bergstöcken und schritten über die Wiesen weiter dem zweiten Tauernhause zu.

Hier drohten aber dieselben höchstbedenklichen blauen Augen und rothen Lippen, nur daß sie der innern Tauernhäuserin angehörten, welche von der äußern eine gute Stunde entfernt


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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_595.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2019)