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aufgeschossene, ragende, schroffe, senkrechte Zinken und Hörner, aus denen sich wieder andre, schwarze, ungethüme Stifte hervorschieben und sich kreuzschnabelartig über einander legen – alles anzusehen wie Masten, Planken und Latten aus dem Schiffbruch einer Welt. Von Wiesen und Feldern keine Andeutung, noch weniger von Häusern. Es vermehrt den feierlichen Ernst der Landschaft, daß sich etwas unter dem Joche auch noch die Aussicht auf ein Schneefeld einstellt, das zur Rechten aufzieht, weiß, schön und still.

Abwärts geht es zunächst durch dünnes Gehölz, das mit vielen großen und kleinen Felsstücken durchwirkt ist, dann aber eben und glatt über Wiesen, bis man zuletzt vor dem Schlosse Buchenstein steht. Dieß ist eine herrliche Burg, innerlich zwar verlassen und verfallen, aber äußerlich noch ganz in alter Würde. Sie steht neben dem Thalwege und ist auf einem vereinzelten schroffen Felsenblock seltsam hingemauert, so nämlich, daß sie gegen Norden eine schöne Fronte hat, während auf der Südseite das Gestein fast bis in die Mitte des Gebäudes hinaufreicht. Eine Ringmauer zieht sich um den Fuß desselben herum und der Zugang zu dem Hauptthor geht über einen tiefen Graben. Hat man die Burg betreten, so führt rechts eine Treppe zum Burgverließ, links die große Stiege ins Schloß. Zuerst kommt man an die Pforte der Capelle, die zwar halb verfallen ist, aber noch manches Ueberbleibsel alter Zier zu schauen gibt. Eine andere Treppe führt zu einer eisernen Thüre, hinter der eine Zugbrücke im Innern den Weg zur Wohnung des Schloßhauptmanns bildete, so daß sich ein hartnäckiger Befehlshaber noch in seinen Wohnzimmern vertheidigen konnte, wenn die Burg schon über war.

Die Herrschaft Buchenstein kam an das Bisthum Brixen im Jahre 1091. Die Bischöfe gaben sie dann verschiedenen Edeln zu Lehen und kamen erst im Jahre 1426 wieder in den unmittelbaren Besitz. Seit dieser Zeit bis zum Jahre 1803, wo das Hochstift säcularisirt wurde, zählt die Chronik in der Burg fünfundvierzig Schloßhauptleute, darunter Männer aus den vornehmsten Geschlechtern des Landes. So lange solche Insassen darin walteten, mag sie wohl sehr wohnlich eingerichtet

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_482.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)