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der Maròbach, der bei Zwischenwasser in die Gader fällt. St. Vigil und Enneberg gehören daher zur einen Familie, die übrigen Orte des Thales zur andern. Der Dialekt der erstern soll der härtere, der der letztern der weichere seyn. Beide scheinen nach den Versicherungen der Eingebornen weiter auseinander zu gehen, als man es bei dem kleinen Umkreis des ladinischen Sprachgebiets und bei der gegenseitigen Nähe und den engen nachbarschaftlichen Verbindungen der Gemeinden wohl erwarten sollte. Als Schiboleth wird das Wort bezeichnet, welches lieb bedeutet (ie t’è tra dschang, ich habe dich sehr lieb – in Grödnersprache). Dieses lautet in der Abtei dschong, in St. Martin jong, in Wälschellen jang, in Enneberg jenn.

Mit der Schule und der Kirche wird es ungefähr gehalten wie in Gröden. In Untermoi, einem Bergdörfchen, das abgeschieden in einem Seitenthale liegt über welchem der gigantische Col de la Vedla aufsteigt, wird am letzten Tage des Jahres, am Sylvestertage nach altem Herkommen deutsch gepredigt, weil an diesem Tage bei Schnee und Eis eine große Kirchfahrt über die Jöcher aus dem Lüsenthale kömmt. Lüsenthal war früher auch der ladinischen Sprache zugethan und die große Kirchfahrt am Sylvestertage geht wohl in die Zeiten zurück, als noch diesseits und jenseits des Col de la Vedla das gleiche Idiom herrschte. Sonst zeigen die Enneberger Geistlichen viele Theilnahme an ihrem Krautwälsch und mancher scheint sich in Studien darüber eingelassen zu haben, die freilich bei dem Mangel der allernöthigsten Hülfsmittel immer etwas lückenhaft geblieben seyn mögen. Der Curat von Campill, einem Dörfchen, das links von St. Martin in einem Nebenthale liegt, soll ein besondrer Liebhaber des Ladins seyn und sich viele Mühe gegeben haben, es schreibbar zu machen. Dieß sey ihm auch so weit gelungen, daß einige seiner Schulkinder ganz artige Briefe und Aufsätzchen in ihrer Muttersprache verfaßt haben.*)[1]

  1. *) Manchem Leser mag die Nachricht nicht unangenehm seyn, daß die Orte des Thales und der nächstgelegenen des deutschen [458] Gebietes in beiden Sprachen fast durchgängig verschiedene Namen haben. Wir geben hievon nachstehendes Verzeichnis: La villa heißt auf deutsch Stern; Badia, St. Leonhard oder Abtei; la val, Wengen; Lung à rü (längs dem Bach) führt bei den Pusterern einen ältern romanischen Namen, nämlich Campill. St. Vigil, wo der Sitz des Landgerichts, heißt al plang, auf der Ebene, St. Maria, was eigentlich das Dorf ist, dem die Deutschen vorzugsweise den Namen Enneberg beilegen, das aber auch „in der Pfarre“ genannt wird, heißt in der Thalsprache la pli, so viel als la pieve, plebs, die Gemeinde. Diese beiden Dörfer, St. Maria und St. Vigil, liegen in einem Seitenthale, das die Deutschen Rauthal, die Enneberger aber Val de Marò nennen. Dieser Name gilt übrigens auch für das ganze Thal, mit Ausnahme des innern Gebietes, der Abtei, und entspricht so wenigstens zum Theil dem deutschen Namen Enneberg, der wohl wie jener der enetbergischen Vogteien in der Schweiz von enet, enthalb, jenseits der Berge herrührt. Die von Marò abgeleiteten Ethnika lauten: Un Marou, ein Enneberger, una Maroura eine Ennebergerin. Außerdem nennen sich die Thalbewohner auch Ladins. Indessen haben die bescheidenen Enneberger bei ihren deutschen Landsleuten keinen der Namen durchsetzen können, auf welche sie von Rechtswegen Anspruch hätten, weder den einheimischen Marou, noch den deutschen; denn auch dieser, Enneberg, Enneberger, lebt mehr in Schriften und im Verkehr der Gebildeten, als bei den Landleuten. Diese heißen sie vielmehr die Krautwälschen und ihr Land die Krautwalsch, während doch die Einwohner von Gardena überall als Grödner bekannt sind. Die Krautwalsch gilt übrigens schon den Bauern am Eisack als ein ziemlich fern gelegenes, wenigen bekanntes Hochland, in welches sich ohne Noth niemand einläßt. In ältern lateinischen Urkunden heißt das Thal Marubium, bei den Italienern jetzo Marebbe. – Da wo der Raubach in die Gader fällt, liegt das oben erwähnte Zwischenwasser, ein Name, der nicht ganz genau dem ladinischen Lunghiega „längs dem Wasser“ nachgebildet ist. Auf der Höhe ober Zwischenwasser liegt Plaiken, welches die Thalbewohner Plüscha nennen. Jenseits des Gaderbaches, gleichfalls auf hohem Bergrücken, ist Wälschellen zerstreut, so genannt zum Unterschiede von Deutschellen, welches auf einer Hochebene links vom Ausgange des Thales zu finden ist. Dieses Wälschellen kommt in Urkunden des eilften [459] Jahrhunderts als Aelina vor und aus diesem Namen stammt sein heutiger deutscher; die Enneberger haben daraus nach der schon oben erwähnten zwischen zwei Vocalen vorgehenden Umwandlung des l in r zuerst Erina und aus diesem Rina gemacht. In einem Seitenthale, dessen Bach oberhalb Zwischenwasser in die Gader fällt, liegt Antermeia, von den Deutschen Untermoi genannt. Ungefähr eine Stunde unterhalb Zwischenwasser ist die Sprachgränze. Dort steht ein einzelnes Wirthshaus, bei den Ennebergern Pera forada „am durchbrochenen Stein“ geheißen, ein Name der bei den Deutschen Pelfrad lautet. In diesem einschichten Hause wirthschaften seit langen Zeiten ladinische Leute; eine halbe Stunde weiter aber liegt ein anderes Wirthshaus, Saalen, welches als der Anfang der deutschen Sprache gilt, da dort Pusterer seßhaft sind. Dieses Saalen heißt bei den Ennebergern Sares; in ältern Urkunden wird es Susulona genannt. Beide Orte liegen auf dem rechten Ufer des Gaderbaches; auf dem linken ist der letzte ladinische Ort das genannte Wälschellen, der erste deutsche das eine Stunde davon gelegene Ohnach, auf ladinisch Ognies. Westwärts ist der Bereich der Sprache sehr genau abgezeichnet durch die Dolomitmauer, welche sich vom Langkofel an den Thälern von Campill und Untermoi hinabzieht und auf deren linker Seite die Gebiete von Gröden und die jetzt deutschen Thäler von Villnöß, Affers und Lüsen liegen. Die östliche Gränze verliert sich im wilden Gebirge, das gegen die neue Straße von Ampezzo hin in verschiedene kleine Thäler sich einsenkt. Auf den dortigen Alpen stehen vielfältig sehr niedlich gebaute und mit heizbaren Zimmerchen versehene Sennhütten in dörflichen Haufen beisammen, unsichtbar für alle, die im Thale hinab wandern, freundliche Ueberraschung für den, der an den kahlen Wänden hinaufgestiegen und da von altherkömmlicher Gastfreundschaft Obdach und Erquickung findet. Sie sind nur den Sommer über von den Ennebergern bewohnt und werden im Herbst verlassen. – Der Dialekt von Ampezzo hat wieder manche Eigenthümlichkeiten und wird daher von vielen als in einer Linie mit dem Grödnerischen, Ennebergischen und Fassanischen stehend, nicht zum ächten Italienisch gerechnet. Zu diesen innerthalischen Namen wollen wir noch einige ladinische für die nächstgelegenen Orte im Pusterthale stellen. So heißt also Brunecken Burnec, Michaelsburg tschiastel de mür, [460] Stegen San Simong, Ollang Val Daura, Taufers Düresch, Innichen San Ghiane (S. Candidus), Sillian Soriang, Lienz Lienza. Auffallend ist, daß im Innern des Thales selbst mehrere der bedeutendern Höfe deutsche Namen führen. So heißt sogar in dem entlegenen Corvara der Hof Arlara bei den Deutschen: zum Maier am Zirm.
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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_465.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)