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und dazwischen zahllose Holzpflöckchen, wovon die einen noch ganz unbearbeitet, die andern schon vorbereitlich zugeschnitten waren. Es überraschte uns, wie da mit wenigen kühnen Zügen schon das Naturell der künftigen Bestie so trefflich angedeutet war – wie der aufwartende Pudel, der schleichende Fuchs, der kampfgierige Löwe, zwar noch roh, aber doch so lebhaft sich darstellten. Auch die Auswahl war sehr groß, denn es fanden sich fast alle weltläufigen Quadrupeden, zahme und wilde, auf dem Tischchen. Wir verlangten nun einen Hund geschnitzelt zu sehen und kaum hatten wir’s ausgesprochen, als sich die Frau niedersetzte, nach einem Blöckchen griff, in dem der treue Pudel schon leibte und lebte und nun ihre Messer arbeiten ließ, immer wechselnd zwischen großen und kleinen, spitzigen und runden. Dabei begrüßte sie das der Vollendung entgegenreifende Werk mit einem leisen Monologe und lispelte in unbewußter Sprachmengerei deutsch, italienisch und grödnerisch durcheinander. Nach einigen Minuten war der Pudel fertig und kostete einen Kreuzer.

Die Frau schien übrigens mit glücklichen Anlagen begabt zu seyn, denn sie hatte erst vor vier Jahren zu schnitzeln begonnen und war darin so weit gekommen, als irgend Jemand im Thale. Und während die andern Nachbarn Jahr aus Jahr ein das Nämliche schnitzeln, ja die meisten ihr ganzes Leben nur immer dieselbe Gattung von Figuren liefern, hat sie sich neue Bahnen gebrochen und schon verschiedene gute Ideen ausgeführt. So z. B. schnitzelt sie alle Tiroler Volkstrachten, wie sie jetzt noch in alterthümlicher Pracht bei Hochzeiten erscheinen, recht nett und zierlich; färbt sie auch sehr fleißig, so daß sie höchst niedlich in die Augen fallen. Die Figürchen haben guten Absatz und deßwegen sahen wir auch gerade nur drei Muster vorhanden, die Tracht von Pusterthal, von Zillerthal und von Gröden. Ich kaufte mir einen Pusterer in seiner würdigen schwarzen Hochzeitjacke und eine Pusterin in dem faltenreichen gelben Rock und habe sie auch beide unversehrt nach Hause gebracht. Mein Brautpaar kostete mich übrigens nicht mehr als zehn Kreuzer.

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_437.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)